Das Spiel
Waffenmeister von Südmark? Wenn ich die Geschichte nicht kennen würde, dann hättet Ihr wirklich Grund, mich in Eisen zu schlagen, Kind.«
Briony wusste, wann es Zeit war, den Mund zu halten, aber sie hielt sich nicht immer daran. »Ich habe ja nur gefragt. Und übrigens, ein gutes neues Jahr! Habt Ihr Euer Frühstück genossen?«
Shaso schüttelte den Kopf. »Ich bin alt, und meine Glieder schmerzen. Verzeiht mir.«
Jetzt hatte er es wieder geschafft, dass sie sich schämte. Auf seine Art machte er einem jede Diskussion genauso schwer wie ihr Vater zuweilen. Und wieder überfiel sie die schmerzliche Einsamkeit.
»Verziehen«, sagte sie nur.
Am Spätnachmittag, als Kinemarkt schon weit hinter ihnen lag und von den Katen, die sie passierten, der Geruch von Herdfeuerrauch herbeiwehte, hatte Briony wieder Hunger. Die Eier waren längst ausgesaugt, aber von dem Brot und dem Käse hatte Shaso die Hälfte für später zurückgelegt, und es fiel ihr schwer, an irgendetwas anderes zu denken als ans Essen. Das einzige, was damit konkurrieren konnte, war die Vorstellung, wie es wäre, jetzt zu Hause in ihr Bett zu kriechen, unter ihre dicke, warme Daunendecke, und dort zu liegen und ebendiesem Wind und Regen zu lauschen, der ihr jetzt das Leben so schwer machte. Sie fragte sich, wo sie wohl diese Nacht schlafen würden, und ob Shaso die letzte Käserinde für ihr Abendessen aufsparte. Ein fröhliches Mahl würde das werden!
Was bist du nur für ein verwöhntes Kind,
schalt sie sich.
Denk an Barrick, wo immer er jetzt ist, auf einem kalten Schlachtfeld im besten Fall. Denk an Vater in seinem steinernen Kerker. Und schau dir Shaso an. Vor drei Tagen noch lag er in Ketten, halb verhungert, blutend von seinen Eisen. Und jetzt ist er deinetwegen auf der Flucht, hier an deiner Seite, und er ist mindestens vierzig Jahre älter als du.
Was sie alles nur noch unglücklicher machte.
Der Weg, dem sie schon so lange folgten und der nie mehr gewesen war als ein ausgetretener Schlammpfad, verbreiterte sich jetzt ein wenig und wandte sich von der Küste ab. Die Katen waren jetzt so dicht gesät, dass es unverkennbar einer weiteren größeren Ortschaft oder einem Städtchen entgegenging — selbst im Dämmerlicht bemerkte Briony das Leben, das hier herrschte: Männer, die in ihren wollenen Jacken von den verregneten Feldern kamen, jeder mit einem Bündel Feuerholz unterm Arm, Frauen, die ihre Kinder hereinriefen, größere Jungen und Mädchen, die Schafe in Pferche trieben. Jeder hier schien einen Platz in der göttlichen Ordnung der Welt zu haben, ein Heim und ein Leben, das, wenn es auch noch so bescheiden war, einen Sinn hatte. Einen Moment dachte Briony, sie würde in Tränen ausbrechen.
Shaso hingegen blieb nicht stehen, um über die Gewissheiten des ländlichen Lebens zu sinnieren, im Gegenteil, er beschleunigte seinen Schritt, und Briony musste sich beeilen, um an seiner Seite zu bleiben. Beide rafften sie ihre Kapuzen eng ums Gesicht, aber das tat bei diesem Wetter jeder, und die Leute, die rings um die Ansiedlungen am Flussufer unterwegs waren, würdigten sie kaum eines Blickes.
Der Weg wand sich jetzt die bewaldete Talflanke hinauf, und der Fluss war nur noch ein leises Murmeln hinter ihnen. Briony fragte sich gerade, wie sie in dieser regnerischen Nacht ohne Fackel weiterkommen sollten, als sie die Hügelkuppe erreichten und unter sich die prächtigen Lichter einer Stadt sahen.
Nein, es war keine richtige Stadt, merkte Briony nach dem ersten geblendeten Moment, aber doch wenigstens eine größere Ortschaft. In den Hügelfalten erkannte sie ein halbes Dutzend von Fackeln erhellter Straßen und mehr erleuchtete Fenster, als sie auf den ersten Blick zählen konnte. Vor der dunklen Weite schien diese Schüssel voller Lichter eine Kostbarkeit, ein Schatz.
»Da draußen ist das Meer«, sagte Shaso und zeigte in das Dunkel jenseits von Landers Port. »Wir sind im Bogen wieder an die Küste zurückgelangt. Der Weg wird jetzt breiter, aber Vorsicht — hier ist überall Sumpf.«
Doch trotz des morastigen Nichts zu beiden Seiten gingen sie zügig, um das rasch schwindende Dämmerlicht noch zu nutzen. Briony fand sich von jähem Optimismus getragen, von der Hoffnung, dass sie zumindest bald etwas in den Magen bekommen und vielleicht sogar ins Trockene gelangen würden. Regen war etwas ganz anderes, wenn man nur einen Burghof oder schlimmstenfalls den Marktplatz überqueren musste — und selbst das hatten ihre Wachen sie
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