Das Spiel
identifizieren konnte. Die Tür ging quietschend nach innen auf, und Licht fiel in den regenpockigen Schlamm heraus.
Ein Mann in einem eigenartigen, weiten Gewand stand in der Tür. Als Shaso beiseite trat, um Briony den Vortritt zu lassen, verbeugte sich der Mann. Einen Moment lang fragte sie sich, ob ihn das Gewand als Mantis kennzeichnete, ob das hier trotz Shasos Ungläubigkeit ein versteckt gelegener Tempel war, doch als sich der Türhüter wieder aufrichtete, erwies er sich als ein bärtiger junger Bursche von derselben dunklen Hautfarbe wie Shaso.
»Seid willkommen«, sagte er zu ihr. »Wer den Edlen Shaso begleitet, ist eine Blume im Hause des Effir dan-Mozan.«
Sie gingen durch einen Bogengang an einer Seite eines Innenhofs, in dessen Mitte Briony etwas erkannte, das wie ein kahler Obstbaum aussah, und dann in ein niedriges Gebäude, das eine sehr große Grundfläche zu haben schien. Ein Schwarm Frauen kam auf Briony zu und umringte sie flüsternd, wobei sie nur jedes fünfte oder sechste Wort verstand, weil es südmärkisch war. Die Frauen dufteten lieblich nach Veilchen, Rosenwasser und anderen, weniger vertrauten Essenzen. Einen Moment lang genoss es Briony, einfach nur einzuatmen, während die Frauen sie an den Händen fassten und zu einem weiteren Gang führten. Da sah sie sich verwirrt und erschrocken um, aber Shaso war bereits in ein Gespräch mit dem bärtigen jungen Mann vertieft und bedeutete ihr nur mit einer Handbewegung weiterzugehen. Das war das Letzte, was sie an diesem Abend von ihm, ja überhaupt von irgendeinem Mann, zu Gesicht bekam.
Die Frauen, ganz unterschiedlichen Alters, aber allesamt so dunkelhäutig und schwarzhaarig wie der Mann, der sie eingelassen hatte, führten — oder vielmehr bugsierten — sie in ein prächtig gekacheltes Gemach, das von Dutzenden von Kerzen erhellt und so warm war, dass sich die Luft ganz dampfig anfühlte. Vor Verblüffung über diesen Luxus im ärmsten Teil eines Fischerörtchens merkte Briony zunächst gar nicht, dass die Frauen ihr die Kleider auszuziehen versuchten. Dann setzte sie sich schockiert zur Wehr und holte gerade zu einem kräftigen Faustschlag aus (eine Selbstverteidigungstechnik, die sie als Kind im Umgang mit zwei lebhaften Brüdern gelernt hatte), als eine der zierlicheren Frauen auf sie zutrat, beide Hände flehend erhoben.
»Bitte«, sagte sie, »wie heißt Ihr?«
Briony starrte sie an. Die Frau war feingliedrig und hübsch, doch obwohl sie glänzendes, teerschwarzes Haar hatte, war sie eindeutig so alt, dass sie Brionys Mutter oder gar Großmutter hätte sein können. »Briony«, antwortete Briony, weil ihr erst zu spät einfiel, dass sie ja auf der Flucht war. Aber Shaso hatte sie diesen Frauen einfach übergeben wie eine Satteltasche, die es auszupacken galt, da konnte ja wohl niemand von ihr erwarten, dass sie an alle Vorsichtsmaßnahmen dachte, während dieser gurrende Taubenschwarm über sie herfiel.
»Bitte, Bri-oh-nie-
zisaya
«, sagte die zierliche Frau, »Ihr habt kalt und seid müde, ja? Ihr könnt nicht im
Hadar
essen, wenn Ihr nicht badet, ja?«
»Baden?« Plötzlich ging Briony auf, dass die große rechteckige Vertiefung in der Mitte des Raums, die sie einfach nur für ein abgesenktes Stück Fußboden gehalten hatte, ein Badebecken war — größer als ihr riesiges Bett im Palast der Südmarksburg! »Da?«, fragte sie dümmlich.
Die Frauen, die spürten, wie ihr Widerstand erlahmte, stürzten herbei, zogen ihr den Rest ihrer nassen Kleider aus und wisperten mitleidig und amüsiert, als Brionys blasse Gänsehaut zum Vorschein kam. Sie bugsierten sie an den Rand des Badebeckens — da führten Stufen hinab! und Brionys Verblüffung steigerte sich noch, als einige von ihnen die Kleider ablegten und mit ihr ins Bad stiegen. Jetzt wusste sie wenigstens, warum das Becken so groß war.
Vom ersten Schock des heißen Wassers wurde sie beinahe ohnmächtig, doch als sie sich erst hineingesetzt und an die Temperatur gewöhnt hatte, überkam sie eine so wohlige Müdigkeit, dass sie fast einschlief. Die Frauen kicherten und seiften und schrubbten sie auf eine Art und Weise ab, die Briony ungebührlich intim gefunden hätte, wenn es sich um Moina und Rose gehandelt hätte, die sie doch seit Jahren kannten, aber irgendwie konnte sie sich nicht wirklich darüber empören. In diesem Bad war es warm — wunderbar warm! —, und der Duft von Blütenölen in der dampfigen Luft gab ihr das Gefühl, in einer Sommerwolke
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