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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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selten tun lassen, ohne dass einer der Soldaten seinen Mantel über sie hielt. Aber hier, in der Wildnis, wo einem den ganzen Tag Tropfen auf den Kopf prasselten wie eine Lawine von Kieselsteinen und man bis auf die Knochen durchweicht wurde, war der Regen nicht einfach nur lästig, sondern ein ausdauernder, grausamer Feind.
    »Werden wir in einem Gasthaus übernachten?«, fragte sie, und ein Teil von ihr wünschte immer noch, sie könnten, Risiko hin oder her, im komfortablen Haus eines Edelmannes Station machen. »Das ist doch wohl auch gefährlich. Meint Ihr, wir würden den Leuten nicht auffallen — ein schwarzhäutiger Mann und ein junges Mädchen?«
    »Die Leute würde das vielleicht weniger wundern, als Ihr denkt«, sagte Shaso mit einem verächtlichen Schnauben. »Landers Port mag zwar den alten König von Syan nie gesehen haben, aber es ist ein geschäftiger Fischerhafen. Hier landen tagtäglich Schiffe aus allen Teilen Eions und noch weiter entfernten Landen. Aber, nein, wir gehen nicht in ein Gasthaus voller Leute, die nichts weiter zu tun haben, als herumzulungern und zu schwatzen. Da könnten wir unsere Anwesenheit gleich von den Tempelstufen verkünden.«
    »O barmherzige Zoria«, sagte sie, wohl wissend, dass sie wieder wie ein verwöhntes Kind dastehen würde, wenn sie jetzt nicht den Mund hielt, was sie aber im Moment nicht kümmerte. »Dann also wieder so eine armselige Bruchbude. Irgendeine Fischerhütte, wo es nach Makrelen stinkt und durchs Dach tropft.«
    »Wenn Ihr nicht aufhört zu jammern, könnte es sein, dass ich uns just diese Art Unterschlupf besorge«, sagte er und hielt seinen Mantel fester zusammen, um sich vor dem Regen zu schützen.
     
    Die Nacht war jetzt endgültig hereingebrochen, und das Stadttor wurde gerade geschlossen. Die Wachen fluchten und blafften die Nachzügler an. In der undifferenzierten Masse aus wollenen Kapuzen und Mänteln, dem Gedränge von Menschen und Tieren, schienen sie und Shaso nicht weiter aufzufallen, aber Briony hielt dennoch den Atem an, als die Wachen sie von Kopf bis Fuß musterten und den Blick erst wieder abwandten, nachdem sie das Tor passiert hatten.
    Der alte Mann fasste sie am Arm und zog sie aus dem Strom der Spätankömmlinge in eine Gasse, die so eng war, dass es aussah, als wollten sich die Häuser mit den oberen Stockwerken rammen wie Widder im Frühling. Briony roch Fisch, rohen und geräucherten, und da und dort sogar den Duft von frischgebackenem Brot. Ihr Magen zuckte vor Verlangen, aber Shaso zog sie durch weitere dunkle Gassen, wo der einzige Lichtschein von flackernden Kochfeuern kam, die durch die offenen Türen sichtbar waren. Stimmen drangen an ihr Ohr, traumartig in dem Nebel aus Hunger und Kälte, der sie umgab. Einiges verstand sie, aber vieles nicht, sei es wegen eines starken Akzents, oder weil es sich um eine fremde Sprache handelte.
    Sie waren jetzt offensichtlich im ärmsten Viertel: kein Stückchen Horn oder Glas in irgendeinem Fenster, kein Licht, außer kärglichen Feuern in den überfüllten Erdgeschossräumen. Briony verließ der Mut. Stinkendes Stroh würde in dieser Nacht ihr Lager sein, und kleine Wesen mit fadendünnen Beinen würden im klammen Dunkel auf ihr herumkrabbeln. Wenigstens hatten sie und Shaso ein bisschen Geld. Sie würde sich nicht mit den Brot- und Käseresten vom Morgen zufriedengeben. Sie würde verlangen oder doch wenigstens darum bitten, dass er ihnen etwas Warmes zu essen kaufte — eine Schale dicke Gemüsesuppe, vielleicht sogar etwas Fleisch, wenn es in diesem Teil der Stadt so etwas wie eine saubere Fleischerei gab.
    »Seid jetzt ganz leise«, sagte Shaso plötzlich und hielt sie zurück. Sie waren jetzt in einer noch finstereren Gegend. Da war gar kein Licht mehr außer dem nahezu unsichtbaren, wolkenverschleierten Mond, und es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass sie vor einer hohen Mauer standen. Nachdem der alte Mann ein Weilchen gehorcht hatte — Briony hörte nichts außer ihrem eigenen Atem und dem ewigen Pladdern des Regens trat er an die Mauer heran und pochte zu ihrem Erstaunen mit den Knöcheln gegen etwas, das wie eine Holztür klang. Sie hatte keine Ahnung, wie er die Tür im Dunkeln gefunden hatte und woher er überhaupt wusste, dass sie da war.
    Eine ganze Weile blieb alles still. Shaso klopfte wieder an, diesmal in einem erkennbaren Rhythmus. Gleich darauf sagte eine tiefe Männerstimme etwas, und Shaso antwortete — beides in einer Sprache, die sie nicht einmal

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