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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich zwischen die Nachbarhäuser quetschte, als wären sie allesamt Choristen auf einer zu schmalen Bank, bat Briony aber demonstrativ nicht herein. Nach einiger Zeit erschien sie wieder in der Tür, mit einem Stück Hartkäse, einem halben Laib Brot und vier Eiern sowie mehreren Kindern, die sich an ihren breiten Hüften vorbeizuzwängen suchten, um einen Blick auf Briony zu erhaschen. Es schien nicht viel Essen, nicht mal für eine geminderte Münze, aber Briony musste zugeben, dass sie immer nur mit viel größeren Geldbeträgen zu tun gehabt hatte und eher die Preise für die Ernährung einer ganzen Garnison Garden kannte. Sie musterte die Frau und fragte sich, ob das wohl ein ehrlicher Handel war. Plötzlich ging ihr auf, dass sie zum ersten Mal im Leben vor einer Person stand, die keine Ahnung hatte, wer sie war, und ihr aus ihrer Sicht weder Respekt noch Treue schuldete. Und noch erschreckender war die Erkenntnis, dass dieses fade Geschöpf mit den vielen Kindern im Schlepptau, diese Bruthenne mit dem roten, rauen Gesicht und den immer noch misstrauischen Augen, nicht viel älter war als sie selbst. Ernüchtert dankte Briony der Frau, wünschte ihr den Segen der Drei und ging wieder zurück zum Stadttor und der Stelle draußen vor der Mauer, wo Shaso wartete.
    Und plötzlich wurde ihr klar: Es hatte sie nicht nur niemand erkannt, es war auch unwahrscheinlich, dass das geschehen würde, es sei denn, sie träfen auf Hendons Männer, die gezielt nach ihr suchten. In ganz Marrinswalk würden, selbst wenn sie in vollem höfischen Prunk erschiene, höchstens ein paar Dutzend Menschen ihr Gesicht kennen — einige Edelleute, der eine oder andere Kaufmann, der schon einmal auf der Südmarksburg gewesen war, um sich die Gunst des Hofes zu erwirken. Hier draußen auf dem Land war sie ein unsichtbarer Geist: Da sie nicht Briony sein konnte, war sie niemand.
    Diese Einsicht war ebenso demütigend wie beruhigend.
     
    Briony und Shaso aßen genug Brot und Käse, um sich gestärkt zu fühlen, und machten sich dann wieder auf den Weg. Den ganzen Nachmittag folgten sie der Küstenlinie, die manchmal nur einen Steinwurf entfernt war, dann wieder unsichtbar und nicht einmal zu erahnen, wäre da nicht das Rauschen der Brandung gewesen. Die Talwände und die Bäume schützten sie leidlich vor dem kalten Wind. Wenn sie eine größere Gruppe von Reisenden nahen hörten, huschten sie schnell in Deckung, und wenn es sich nicht vermeiden ließ, jemandem zu begegnen, hielten sie den Kopf gesenkt.
    »Wie weit noch nach Bokeburg?«, fragte sie Shaso, als sie kurz Rast machten. Sie waren gerade eine nasse, glitschige Böschung hinaufgeklettert, um einen quer überm Weg liegenden Baum zu umgehen, und es hatte sie beide erschöpft.
    »Drei Tage mindestens«, sagte Shaso. »Aber da gehen wir nicht hin.«
    »Aber Lawren, der alte Graf von Marrinscrest, wohnt doch dort, und er würde ...«
    »Würde gewiss große Mühe haben, unsere Anwesenheit für sich zu behalten, ja.« Der alte Mann rieb sich das wettergegerbte Gesicht. »Ich bin froh, dass Ihr allmählich gründlicher nachdenkt.« Er zog eine Grimasse. »Bei der Großen Mutter, was bin ich müde. Irgendein böser Geist reitet mich wie einen Esel.«
    »Der böse Geist bin ich«, sagte Briony. »Ich war es, die Euch so lange im Kerker hat schmachten lassen — kein Wunder, dass Ihr müde und krank seid.«
    Er wandte sich ab und spuckte aus. »Ihr habt getan, was Ihr tun musstet, Briony Eddon. Und im Gegensatz zu Eurem Bruder wolltet Ihr glauben, dass ich an Kendricks Tod unschuldig war.«
    »Barrick dachte auch, er täte nur, was er tun müsste.« Eine Welle von Schmerz und Einsamkeit überschwemmte sie mit solcher Gewalt, dass es ihr für einen Moment die Luft nahm. »Ach, ich will nicht über ihn sprechen«, sagte sie schließlich. »Wenn wir nicht nach Bokeburg gehen, wohin dann?«
    »Landers Port.« Er stemmte sich mühsam hoch. Da war nichts von seiner alten Anmut und Schnelligkeit. »Ein großer Name für einen Ort, der König Lander nie zu Gesicht bekommen hat, nur eines seiner Schiffe, das vor der Küste dort gesunken ist, auf dem Rückweg von Kaltgraumoor.« Jetzt lächelte Shaso schon fast. »Nicht viel mehr als ein Fischernest, aber für unsere Zwecke bestens geeignet, wie Ihr sehen werdet.«
    »Woher wisst Ihr das alles? Das mit Lander und seinen Schiffen und Kaltgraumoor?«
    Sein Lächeln verschwand. »Die größte Schlacht in der Geschichte des Nordens? Und ich als der

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