Das Spiel beginnt - Lost Souls ; Band 1
ihm hinauf.
»Wirklich?« Nathan grinste. Es tat gut zu wissen, dass er etwas konnte, was sie nicht beherrschte. »Schade. Da verpasst du was.«
»Vielleicht, aber ich bleibe lieber weiter auf dem Boden.«
Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er seine Mutter Auge in Auge vor sich sah und nicht wie sonst auf einer reflektierenden Oberfläche. Und ihre Stimme konnte er auch mit seinen Ohren hören und nicht nur in seinem Kopf. »Ich kann dich sehen und hören.«
»Ich weiß.« Verlegen strich sie sich die Kleider glatt. »Fernab von deiner Heimatfrequenz kannst du es.«
»Du bist viel kleiner, als ich dachte.« Nathan konnte der Versuchung nicht widerstehen, seine Mutter an der Schulter zu berühren. Fest fühlte sie sich an, fest und lebendig.
»Aber ich verstehe das nicht«, sagte er leise und seine Stimme klang gepresst.
»Wieso du mich sehen und berühren kannst?«
Er nickte.
»Wir befinden uns außerhalb der primären Frequenz.« Sie zeigteauf den Wald um sich herum. »Seit ich sie… verloren habe, ist Gestaltlichkeit für mich eher hier, an diesem Ort, möglich. Hier und an manchen anderen Orten. Aber ich dachte, dieser hier ist dir vielleicht am angenehmsten.«
»Vielleicht. Wenn man mal von den Seelengeiern absieht.«
Schatten glitten durch die Bäume. Nathan konnte sie zwar nicht genau erkennen, aber er fühlte sich auch nicht durch sie bedroht. Das Baumkronendach über ihm ließ während des Tages keine Sonne durch. In der Ferne konnte Nathan Wasser riechen.
Er blickte seine Mutter an. »Was ist vorhin im Zug passiert? Warum haben mich all die Leute angegriffen?«, fragte er. Jetzt, wo er außerhalb der Reichweite der Geister war, verschwand die Angst, und auch vernünftig denken konnte er wieder. »Und warum konntest du die Geister anfassen, ich aber nicht?«
»Lass uns nichts überstürzen, Nathan. Du kannst nicht alles gleichzeitig lernen. Aber eines sollst du wissen: Was ich kann und weiß, das wirst auch du im Laufe der Zeit lernen.«
»Okay.« Es fiel ihm schwer, Geduld zu zeigen, aber es gefiel ihm, dass sie mit ihm wie mit einem Erwachsenen sprach.
»Deine besonderen Fähigkeiten sind an deinem dreizehnten Geburtstag erwacht. Und je öfter du von ihnen Gebrauch machst, desto stärker werden sie.«
»Was für Fähigkeiten denn?«
»Du hast das Vermögen, die Frequenzen nicht nur zu erkennen, sondern auch durch sie zu reisen. Und zwar durch alle.Manche Leute hier, auch manche Tiere, können nur durch einige Frequenzen reisen.«
»Kukulkan hat mir von den Frequenzen schon erzählt.«
»Das denke ich mir. Er ist es ja, der sie erschaffen hat.«
Nathan war sprachlos. »Kukulkan hat sie erschaffen? Aber… das ist doch gar nicht möglich.« Nathan versuchte sich vorzustellen, wie es vor langer, langer Zeit einmal ein Nichts gegeben hatte und dann mit einem Mal ein Sein. Viel Sein, wie sich herausstellte.
»Und das sagst du, der du gerade mitten in der Luft stehst?«
Nathan gefiel diese naheliegende Antwort auf seine Frage gar nicht. Er ließ sich deshalb zu Boden sinken und kam einige Meter von seiner Mutter entfernt zum Stehen. »Dann sind Frequenzen so etwas wie… Welten ?«
»Nicht ganz. Die Frequenzen sind wie unzulängliche Doppelgänger der realen Welt. Oder auch wie die Kopie einer Kopie. Einzelheiten, mit Ausnahme der allerwichtigsten und präzisesten, gehen bisweilen dabei verloren. Und je weiter du dich von deiner Heimatfrequenz entfernst, umso weniger ist noch von dieser Welt zu sehen und zu spüren. Nur die bedeutsamsten Dinge – und Menschen – tauchen so weit weg noch einmal auf.« Sie schwenkte ihren Arm. »Dieser Ort hier kennt keine modernen Gebäude, aber es gibt durchaus Gebäude hier, die auch in deiner Heimatfrequenz noch vorhanden sind. Andere dagegen wieder nicht.«
»Warte. Willst du mir etwa sagen, das Kukulkan nicht nur die Frequenzen, sondern auch die Welt erschaffen hat?«
»Ja.«
»Dann ist er also ein Gott?«
»Die Maya haben ihn als solchen anerkannt. Als einen Gott von vielen. Vielleicht lernst du die anderen mit der Zeit auch kennen.«
Nathan wusste nicht, ob er das als Drohung oder als Versprechen auffassen sollte, versuchte aber, nicht darüber nachzudenken. »Diese Leute im Zug waren jedenfalls noch nicht da, als ich eingestiegen bin.«
»Natürlich waren sie da. Du konntest sie nur nicht sehen.«
»Und wieso hab ich sie dann plötzlich doch gesehen?«
Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Mir ist noch nicht ganz klar,
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