Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Trennung und Ungewissheit heillos betrunken vor sie trat, sondern gewiss vor allem dafür, dass er bei dem schändlichen »Kompromiss« während des Parlaments im Oktober das Geburtsrecht seines Sohnes verschenkt hatte.
Doch der kleine Edouard zumindest hegte keinen Groll gegen seinen Vater. Überglücklich, den König wohlbehalten zurück im Kreis der Familie zu wissen, saß er am nächsten Tag an dessen Seite an der hohen Tafel der Halle im Gästehaus des Klosters. Der Abt hatte Henry, Marguerite und die Lords zum Festessen geladen, und dienstbare Geister trugen eine Gaumenfreude nach der anderen auf, während die Truppen der Königin immer noch in der Stadt wüteten. Die große Klosteranlage lag an deren Südrand hinter einer schützenden Mauer, sodass die Gäste von den Schreien und dem Brandgeruch nicht behelligt wurden.
»Gott sei gepriesen, dass er die Ordnung in diesem Land wiederhergestellt hat und Ihr Euch und den Euren nun eine Weile Ruhe gönnen könnt, Madame«, sagte der Abt, hob seinen Pokal und rief: »Auf die Königin, die unerschrocken und kämpferisch wie Judith ihren Feinden entgegentrat und den Sieg der Gerechten erstritt!«
Julian und die übrigen Lords an der Tafel erhoben ihre Becher und nahmen den Trinkspruch auf, doch sie alle dachten, was die Königin sagte: »Habt Dank für Eure schönen Worte, Mylord. Aber von Ruhe werden wir noch ein Weilchen länger träumen müssen. Morgen marschieren wir auf London. Wir müssen die Stadt zurückgewinnen, solange unter unseren Feinden Verwirrung herrscht.«
»Gewiss, meine Königin«, pflichtete der Abt ihr bei. »Doch jetzt, da Gott so deutlich gesprochen, den Duke of York vom Angesicht der Erde gefegt und Euren Truppen den Sieg geschenkt hat, wer sollte da noch wagen, gegen die Herrschaft des rechtmäßigen Königs aufzubegehren?«
»Da gebe ich Euch völlig Recht, Vater«, pflichtete der König ihm hastig bei, dem es offenbar peinlich war, dass seine Gemahlin dem Abt widersprochen hatte.
Marguerite bedachte ihn mit einem Blick unzureichend verborgener Verachtung, verspeiste ein eingelegtes Wachtelei und gab zu bedenken: »Wir mögen bei St. Albans gesiegt haben, aber bedauerlicherweise nicht bei Mortimer’s Cross, Sire. Und mag Gott uns auch von Richard of York erlöst haben, so doch nicht von dessen Sohn, der den Titel, die Herrschsucht und das verräterische Herz seines Vaters geerbt hat. Und weil all das so ist, müssen wir in London einmarschieren, ehe er es tut, mon ami .«
Der König machte ein unglückliches Gesicht, widersprach ihr aber nicht. Sein leicht abwesender Ausdruck deutete darauf hin, dass er seiner Gemahlin nicht so recht hatte folgen können.
Julian erhaschte eine Bewegung an der Seitentür zur Halle, welche die Dienerschaft benutzte, um die Speisen aufzutragen. Jetzt stand indessen sein Knappe Alexander Neville auf der Schwelle, und als ihre Blicke sich trafen, nickte er Julian ernst zu.
Julian stand auf, entschuldigte sich bei seinen Tischnachbarn und ging außen um das Hufeisen der Tische herum, bis er den jungen Mann erreicht hatte. Er wusste, dass Alexander nicht aus einer Laune heraus gegen seinen Befehl verstoßen und Waringham verlassen hätte, und als er seinem Neffen in die Augen sah, wappnete er sich für schlechte Neuigkeiten.
Er legte Alexander zum Gruß kurz die Hand auf die Schulter. »Sind die Yorkisten in Waringham eingefallen?«
»Nein, Mylord.« Der Knappe schlug für einen Moment die Augen nieder, dann nahm er sich zusammen und sah wieder auf. »Es … es tut mir leid, Sir. Eure Mutter ist gestorben.«
Waringham, Februar 1461
Es traf Julian
härter, als er es für möglich gehalten hätte. Er hatte seine Mutter in den vergangenen zehn Jahren kaum jemals gesehen, und er hatte ihr lange Zeit verübelt, dass sie in seinem Streit mit dem Vater nicht Partei für ihn ergriffen hatte. Doch als er nun auf dem tief verschneiten Friedhof hinter der Burgkapelle stand, wo die Knechte die gefrorene Erde mit Spitzhacken hatten aufbrechen müssen, um neben dem Grab seines Vater unter der Linde eine neue Grube auszuheben, kämpfte er mit den Tränen. Nicht einmal, weil er der Versuchung nachgegeben hätte, sich in rührseligen, verklärten Kindheitserinnerungen zu ergehen, sondern eher, weil seine Mutter nicht mehr da war. Sie hinter den Klostermauern von Havering zu wissen war eine Art Anker für ihn gewesen, ein Ruhepol in der Rastlosigkeit der vergangenen Jahre. Nicht, dass er seine Mutter dort oft besucht
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