Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
hätte. Aber sie war eben da gewesen. Jetzt nicht mehr, und zu spät ging ihm auf, dass er ihr noch ein paar wichtige Dinge hatte sagen wollen.
Dass seine Schwester Kate neben ihm stand und ihrem Kummer freien Lauf ließ, machte es auch nicht leichter. Julian belauerte sie aus dem Augenwinkel, hin- und hergerissen zwischen Groll und Verlegenheit, und war dankbar, als sein Schwager Simon ihr einen tröstenden Arm um die Schultern legte, sodass er es nicht tun musste. Er kannte Kate überhaupt nicht. Und es war ihm so gruselig, wie ähnlich sie seiner Mutter sah, dass er sich scheute, sie anzufassen. Er wünschte, Blanche wäre hier.
Der scharfe Wind, der kleine Schneewolken aufstäuben ließ, schien Vater Michael nichts anhaben zu können. Der Dorfpfarrer betete lange und mit der ihm eigenen unaufdringlichen Feierlichkeit für die Verstorbene, besprengte den Sarg in der Grube mit geheiligtem Wasser, und Julian fand die tiefe Stimme und den Klang der lateinischen Worte tröstlich.
Als der letzte Segen gesprochen, das letzte Kreuzzeichen geschlagen war, führte Julian seinen Haushalt und die Gästezurück zum Bergfried. Der Leichenschmaus wurde in der großen Halle gehalten, denn auch viele Leute aus dem Dorf und vom Gestüt hatten das Bedürfnis verspürt, Lady Juliana das letzte Geleit zu geben. Doch sobald die Gebote von Anstand und Höflichkeit es zuließen, zog Julian sich mit der engsten Familie in das Privatgemach ein Stockwerk höher zurück.
Kate, Simon und Alexander setzten sich an den Tisch, Daniel auf den Fenstersitz. Der alte Haudegen war ungewöhnlich still. Julian hatte immer geahnt, dass Daniel eine heimliche Schwäche für seine Mutter gehegt hatte, und der verräterische Glanz in den blauen Waringham-Augen schien diesen Verdacht zu bestätigen.
»Hier, Cousin«, sagte Julian ein wenig brüsk und drückte Daniel einen gefüllten Becher in die Hand. »Trink einen Schluck.«
»Danke.« Es klang dünn. Daniel stierte auf den tiefroten Wein hinab.
Julian gesellte sich zu den anderen, während Alexander auch ihnen einschenkte, und griff dankbar nach dem länglichen Stück Holz und dem Schnitzmesser, die auf dem Tisch lagen. Das frische, weißliche Fichtenholz hatte einen dicken Harztropfen auf der Tischplatte hinterlassen. Julian ertappte sich bei dem Gedanken, dass seine Mutter ihn dafür gescholten hätte. Er hingegen begann zu werkeln, ohne den Fleck zu beachten. Kate beugte sich vor, träufelte aus der Lampe auf dem Tisch ein wenig Öl auf den Fleck und ergriff eine Hand voll Stroh vom Boden, um ihm zu Leibe zu rücken.
Julian zog eine Braue in die Höhe. »Ich bin sicher, meine Mägde wissen es zu schätzen, dass du ihnen die Arbeit abnimmst, Schwester.«
Kate zeigte ein kleines Lächeln. »Entschuldige. Ich dachte nur, was Mutter zu dem Fleck gesagt hätte.«
Vom Fenstersitz kam ein verhaltenes Schniefen.
Simon Neville sah stirnrunzelnd zu seinem alten Freund hinüber. »Du meine Güte, nimm dich ein bisschen zusammen,Daniel. Komm lieber herüber zu uns und lass uns auf ihr Andenken anstoßen.«
Aber Daniel winkte ab, das Gesicht zum Fenster gewandt.
»Hast du Blanche einen Boten geschickt?«, fragte Kate ihren Bruder schließlich.
Julian nickte und wies auf Alexander. »Er wollte gehen. Aber ich hielt das für keine besonders gute Idee.«
»Nein«, raunte der Achtzehnjährige in seinen Weinbecher. »So wie Ihr mich auch nicht mit nach Schottland genommen habt. Ich schätze, als Nächstes packt Ihr mich in Wolle und verstaut mich in einer Truhe, damit ich nur ja keinen Kratzer abbekomme.«
Sein Vater und Julian tauschten ein mattes Grinsen, aber Kate sagte nachdrücklich: »Du solltest deinem Onkel dankbar sein für seine Umsicht. Der Duke of Somerset hat seit der Schlacht von Northampton drei Knappen verloren. Dieser Krieg ist kein Spiel, mein Sohn.«
»Trotzdem muss irgendwer hingehen, oder?«, konterte Alexander.
»Nun, lasst uns hoffen, dass der Krieg vorüber ist«, warf Simon ein. »Man kann über Marguerite denken, was man will, aber sie hat ein Wunder vollbracht bei St. Albans.«
Julian dachte mit Beklommenheit an die Schlacht und die anschließende Plünderung von St. Albans und kam auf Kates ursprüngliche Frage zurück: »Tristan Fitzalan ist nach Wales geritten, um sich auf die Suche nach Blanche zu machen. Ich hoffe, er findet sie in Pembroke. Ich bin in ziemlicher Sorge um sie. Das Einzige, was einigermaßen sicher scheint, ist, dass Jasper Tudor das Schlachtfeld von
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