Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
England kam, war es eine der Schauergeschichten, die man sich bei Hofe abends nach dem Essen erzählte. Das heißt, wenn dein Vater und mein Gemahl nicht in der Nähe waren.« Sie sah Julian an, und obwohl er sich bemühte, desinteressiert zu wirken, huschte ein triumphierendes Lächeln über ihre Züge, und sie fuhr fort. »König Harry schickte deinen Vater mit einem anderen Mann zusammen auf irgendein Himmelfahrtskommando. Victor de Chinon nahm deinen Vater gefangen, hat ihn in Jargeau in ein schauriges Kellerloch gesperrt und zwei Monate lang Rache an ihm genommen. Für Agincourt, verstehst du. Als dein Großvater, der Kardinal, ihn endlich freikaufen konnte, war dein Vater mehr tot als lebendig. Und als er sich erholt hatte, war er … nicht mehr derselbe Mann.«
»Ach ja?«, fragte Julian. »Das ist wirklich eine großartige Schauergeschichte. Genau das Richtige für eine Schar hirnloser Gänse wie dich und deine Damen. Von geschmacklos ganz zuschweigen.« Er war wütend. Weil sie ihm diese erschütternde Episode im Plauderton erzählte, aber mehr noch darüber, dass sie etwas so Grauenhaftes und Persönliches über seinen Vater gewusst hatte, er aber nicht.
»Als dein Vater genesen war, zog er wieder für Harry in den Krieg. Für den König, der ihm das eingebrockt hatte. Und bei der Gelegenheit erwarb sich dein Vater den hübschen Beinamen ›der Schlächter von Melun‹. Es gab einfach nichts, was einen Keil zwischen ihn und König Harry treiben konnte. Oder zwischen ihn und meinen Gemahl. Seine Lancaster-Treue war bedingungslos.«
Julian wandte den Kopf ab. »Verstehe. Jetzt wird mir endlich klar, worauf du hinauswillst. Aber du hättest dir diese scheußliche Geschichtsstunde sparen können. Ich wusste vorher schon, dass mein Vater dem Haus Lancaster seine Seele verschrieben hat.« Er sah sie wieder an. » Meine bekommt ihr nicht, hast du verstanden? Das Haus Lancaster kann sich meiner Treue und meiner Dienste sicher sein. Weil dein Sohn es wert ist. Aber mehr nicht.«
»Hm«, machte sie zustimmend. »Ich weiß genau, wo die Grenzen deiner Opferbereitschaft liegen. Mir ist bekannt, womit Edward, dieser gerissene yorkistische Hurensohn, dich und Jasper im Zaum hält. Aber eines solltest du noch wissen, Julian: Der Mann, der damals gemeinsam mit deinem Vater zu diesem Auftrag geschickt wurde, war Owen Tudor. Dein Vater geriet in Gefangenschaft. Tudor kam heil zurück. Es wurde viel darüber gemunkelt. Was, wenn du deine Loyalität an den Enkel eines Mannes verschwendest, der deinen Vater im Stich gelassen hat?«
»Du bist widerlich«, murmelte er kopfschüttelnd. »Und nebenbei bemerkt, ziemlich durchschaubar.«
Marguerite lachte leise. Siegesgewiss. »Dennoch bin ich zuversichtlich, dass du dir die Sache durch den Kopf gehen lässt, sobald ich den Rücken kehre. Wir beide wissen schließlich, wie sehr du es verabscheust, ausgenutzt zu werden, nicht wahr, Julian?«
Waringham, April 1463
Janet hatte die Augen
mit einem lindgrünen Seidenschal verbunden und ging langsam auf dem Rasen umher, die Arme unsicher vor sich ausgestreckt. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, aber die Augenbinde ließ sie hilflos und verletzlich wirken. Die kleine Agnes schlich sich von hinten an sie heran und zupfte an ihrem Rock. Janet wirbelte herum und packte zu, doch die Hände griffen nur ins Leere, während das Kind kichernd davonstob.
Ein rundes Dutzend Frauen und Mädchen spielten im Rosengarten Blindekuh. Es war ein verhangener Frühlingstag mit einem bleigrauen Himmel, der nichts Gutes verhieß, aber noch war es trocken, und nach dem langen Winter ließen die Burgbewohner keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen, sich im Freien zu tummeln. Die Stimmung war ausgelassen. Tristan Fitzalans Schwester Elizabeth, die im vergangenen Sommer Julians Steward Frederic geheiratet hatte, umtänzelte Janet gewagt und neckte sie, sprang aber immer rechtzeitig beiseite, behände, obwohl sie schwanger war.
Julian war an einem der Rosenbögen stehen geblieben, um sich einen Augenblick an dem unbeschwerten Treiben zu erfreuen.
Seine Nichte Martha wagte sich zu nah an Janet heran, kreischte, als sie gepackt wurde, und beide gingen lachend zu Boden. Dann setzte Janet sich auf, streifte die Augenbinde ab und rief triumphierend: »Hab ich dich, du Range. Ich wusste doch genau, dass nur Martha Neville frech genug ist, mich so zu piesacken …«
Sie warf den Kopf zurück, und dabei entdeckte sie Julian. Es war niederschmetternd, wie ihr
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