Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
aber doch verhasste Kind in seinen Mantel zu hüllen und an seine Brust zu drücken, und etwa auf halbem Weg wachte es auf, fing an zu schreien und hörte nicht wieder auf. Julian war zermürbt, als er ankam, und seine Pfeilwunde machte ihm ziemlich zu schaffen. Er legte das Kind mitsamt Geldbeutel in ein Weidenkörbchen, das er mitgebracht hatte,stellte es vor der Pforte ab und verbarg sich im Schatten der Weiden, die diesseits der Klostermauer wuchsen. Dank des kräftigen Gebrülls erschien der Bruder Pförtner nach kurzer Zeit, stimmte eine reichlich unchristliche Litanei von Flüchen an und trug den brüllenden Novizen hinein. Erleichtert machte Julian sich auf den langen Heimweg.
Als am nächsten Morgen das tote Kind in der Wiege »entdeckt« wurde, holte Julian Vater Thomas, seinen jungen Hauskaplan, und die Hebamme aus dem Dorf. Offiziell, damit Ersterer dem Säugling die Strebesakramente erteilte und Letztere ihn für die Beerdigung wusch, in Wahrheit jedoch, damit diese zwei unabhängigen und zuverlässigen Zeugen sich von der äußerlichen Unversehrtheit des Kindes überzeugten und mögliche finstere Gerüchte zerstreuen würden. Julian wusste, er riskierte Argwohn, indem er diese grausige Verwechslungskomödie so bald nach seiner Heimkehr inszenierte. Niemandem in Waringham war verborgen geblieben, dass er und seine Gemahlin nicht gerade verliebt wie Turteltäubchen waren. Sicher wäre es klüger gewesen, ein paar Wochen zu warten. Aber er hätte es keinen Tag länger mit diesem Kind unter einem Dach ausgehalten, und er hatte den Abschied für Janet auch nicht quälend in die Länge ziehen wollen.
Bei der Beerdigung des unbekannten Kindes regnete es in Strömen, und die allgemeine Trostlosigkeit war erbarmungswürdig. Nicht nur Janet, auch seine Schwester, seine Nichten, die Frauen seiner Ritter und alle Mägde weinten bitterlich, als der winzige Sarg auf dem Kirchhof hinter der Burgkapelle in die Erde gelassen wurde. Julian stand kreidebleich und mit fest zusammengebissenen Zähnen dabei. Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals so lausig gefühlt zu haben. Aber das war nur gut so, redete er sich ein. Jeder hielt seine versteinerte Miene und seine Einsilbigkeit für Anzeichen mannhaft ertragener Seelenqual. Und da auch Scham Seelenqual war, hatten sie nicht einmal so Unrecht.Nachts klammerte Janet sich an ihn wie eine Ertrinkende, sodass es ihm manchmal vorkam, als könne er nicht mehr frei atmen. Aber er wies sie nie zurück. Weil er ein schlechtes Gewissen hatte, vor allem aber, weil er hingerissen von ihrem festen und doch so wunderbar gerundeten Mädchenkörper und den üppigen Brüsten war. Außerdem war ihm daran gelegen, dass sie so schnell wie möglich wieder schwanger wurde. Er wollte sie entschädigen, und er wollte, dass sie aufhörte, ihrem verfluchten Bastard nachzutrauern. Also schlief er Nacht für Nacht mit ihr. Es waren keine so wütenden Gewaltakte mehr wie der erste, aber oft trieben sie es ziemlich wild, weil sie eine eigentümliche Sucht nach dem Körper des anderen ergriffen hatte, die sie ungeduldig machte. Wie Löffel aneinandergeschmiegt lagen sie schließlich still, und wenn Janet glaubte, er schlief, weinte sie.
Niemandem auf der Burg blieb verborgen, dass das Verhältnis zwischen Lord Waringham und seiner Gemahlin sich gebessert hatte. Die offenkundigste Veränderung war die, dass sie seit seiner Heimkehr eine Kammer teilten, und das hatten die Mägde natürlich sofort herausbekommen. Alle glaubten, der Tod ihres Kindes habe sie einander nähergebracht.
Janet litt unter der Trennung von ihrem Sohn, aber nicht so sehr, wie sie gedacht hätte, gestand sie sich schuldbewusst ein. Womöglich lag es daran, dass sie jetzt eine adlige Dame war und sich so sehnlich wünschte, dieser Rolle gerecht zu werden. Und keine adlige Dame zog ihre Kinder selbst auf. Ammen und Gouvernanten übernahmen die Erziehung während der ersten Lebensjahre, später kamen die Sprösslinge auf die Klosterschule, oder die Söhne gingen zur Ausbildung an einen fremden Hof. Natürlich war es etwas anderes, den kleinen John viele Meilen entfernt an einem fremden Ort zu wissen. Es schmerzte sie, dass sie ihn nicht sehen und halten konnte, nicht Zeuge seiner ersten Schritte sein würde. Doch sein Schicksal war so viel besser als alles, was sie am Tag ihrer Hochzeit für möglich gehalten hätte.
Zehn Jahre vor der ersten Schlacht von St. Albans geboren, war Janet dazu erzogen worden, zu glauben,
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