Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
schmerzliche Wahrheit für ihn. Kein Vater hört gern unangenehme Wahrheiten von seinem sechzehnjährigen Sohn, weißt du.«
Julian hob die Linke mit dem Holzpferdchen zu einer abwehrenden Geste. »›Schlimmer als Robert‹, hat er mich genannt, und er hat es so gemeint, das weiß ich. Schlimmer als dieses Monstrum, das wehrlose Bauern an Bäumen aufknüpft und ihre Füße verbrennt oder seine eigene Schwester schwängert. Aber Robert war Lancaster-treu. Und an diesem und keinem anderen Punkt unterschied Vater zwischen gut und böse.«
Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Er war kein Mann, der die Welt so mühelos in schwarz und weiß unterteilen konnte. Er wäre glücklicher gewesen, hätte er das gekonnt, aber dafür war er zu nachdenklich.« Sie unterbrach sich und wandte den Kopf ab. Julian ging auf, wie schmerzlich und schwierig dieses Gespräch für sie sein musste, und er wollte etwas sagen, wollte das Thema wechseln, doch dann legte sie ihre faltige, schmale Hand auf seine Linke und sah ihn wieder an. »Die Aufgabe, den König zu behüten und ihm zur Seite zu stehen, hat dein Vater sich nicht ausgesucht. Sie wurde ihm auferlegt, und sie war niemals leicht. Wahrscheinlich kannte niemand Henry so gut wie er. Glaub mir, er wusste um all seine Schwächen und Unzulänglichkeiten. Und je älter der König wurde, je deutlicher diese Schwächen zu Tage traten, desto schwerer hat deinVater an seinem Amt getragen. Oft war er verzweifelt. Er hat getan, was er konnte, um einen anderen Mann aus Henry zu machen, aber man kann nicht ändern, was einem Menschen in die Wiege gelegt wird.«
»Wenn er seine Schwächen kannte, wieso hat er ihm nie den Rücken gekehrt? Ich meine, hat der König ihm seine Treue je gedankt? Ihn mit einem Stück Land belehnt? Ihm ein lukratives Amt gegeben oder eine Jahresrente ausgesetzt wie so vielen Speichelleckern an seinem Hof? Eine Mitgift für Blanche springen lassen? Irgendetwas für ihn getan? Nein. Er hat ihn schäbig behandelt und ausgenutzt.«
Lady Juliana deutete ein Schulterzucken an. »Dein Vater konnte Henry so wenig den Rücken kehren, wie er freiwillig hätte aufhören können zu atmen. Königstreue war ein zu wichtiger Bestandteil seiner selbst.«
»Aber der Duke of York sollte von Rechts wegen König sein!«, wandte Julian verständnislos ein.
»Wirklich?«
»Sein Urgroßvater war der ältere Bruder von Henrys Urgroßvater. Somit steht er dem Thron näher, oder nicht?« Seine Finger hatten zu beben begonnen, sodass er eine Klippe in den Schweif seines Holzpferdes schnitzte.
»Dynastisch gesehen, vielleicht«, räumte seine Mutter ein. »Aber König Henrys Großvater – dem ersten Lancaster-König – wurde die Krone vom Parlament angetragen.«
Julian fiel aus allen Wolken. »Ist das wahr?«
»Sei versichert. Er war meines Vaters Bruder, ich sollte es also wissen. Was nun schwerer wiegt – Erbrecht oder parlamentarische Legitimation – darüber könnten wir bis zum Tag des Jüngsten Gerichts debattieren. Tatsache ist: Henry ist der gesalbte König von Gottes Gnaden. Wer daran rütteln will, verstößt nicht nur gegen die Gesetze der Welt, sondern gegen göttliche Ordnung. Dein Vater war ein ewiger Zweifler, doch zu den wenigen Dingen, an die er glaubte, gehörte, dass ein wohlmeinender, aber schwacher König wie Henry der Fürsorge und Unterstützung seiner Lords in besonderem Maße bedarf. Seiner Cousinsallemal. Zum Lohn für diese Gesinnung hat Richard of York ihn ermorden lassen. Er …« Sie kniff die Lider zu, und zwei Tränen lösten sich von ihren Wimpern, aber sie sprach mit derselben, ruhigen Stimme weiter: »Ich würde dich nie dazu drängen, den gleichen Weg einzuschlagen wie dein Vater, Julian, denn es war ein sehr steiniger Weg. Aber du könntest überlegen, ob du nicht wenigstens ein klein wenig Zorn um seinetwillen empfinden solltest. Das hätte er verdient, weißt du.«
»Ja, ich weiß«, räumte Julian vorbehaltlos ein, doch er versprach ihr nichts.
Seine Mutter nahm das Spielzeugpferd in die Hand, das er achtlos ins Gras gelegt hatte. Er verlor meist das Interesse an seinen Schnitzereien, sobald sie fertig waren. Es war hübsch geworden: Kopf und Hals aufgrund der Krümmung des Astes ein wenig zur Seite gedreht, so wie Pferde es taten, die außerhalb ihres Blickfeldes ein Geräusch hörten, das ihre Neugier erweckte. »Für Waringham wird es sich gewiss als Segen erweisen, dass du nach Hause gekommen bist. Vor allem für das Gestüt«, bemerkte
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