Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Geschmack.«
»Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen, Alys?«, fragte Reginald Delacour, welcher der Sheriff und Friedensrichter von Kent war.
»Gar nichts, Mylord«, antwortete die Magd. Ihr Blick war voller Trotz, aber die hängenden Schultern verrieten ihre Resignation.
Das Wetter war umgeschlagen. Graue Wolken waren von der See herangezogen, drohten sich jeden Moment über Waringham zu entladen, und ein ungemütlicher Wind fegte über den Anger am Tain. Trotzdem waren die Dörfler vollzählig erschienen, und auch viele Menschen von der Burg hatten sich eingefunden. Die dienstfreien Wachen bildeten eine schweigende Gruppe. Eigentümlich reglos standen sie auf der Wiese, die Mienen grimmig. Die Bauern hielten ein gutes Stück Abstand zu ihnen. Sie standen in einem langgezogenen Halbkreis, Adam und seine Schwester Emily in vorderster Reihe. Adam hielt seinen kleinen Bruder Melvin auf dem Arm, der schon sieben war, aber kaum ein Wort sprechen konnte, und dessen Augen sich ständig nach oben verdrehten. Die anderen drei Kinder, die Alys dem Earl of Waringham geboren hatte, waren genauso schwachsinnig gewesen wie Melvin, aber ihnen hatte Gott die Gnade erwiesen, sie nach wenigen Wochen auf Erden zu sich zu holen.
Sir Reginald Delacour saß an einem langen wackeligen Tisch, dem anzusehen war, dass er schon so manche Reise landauf, landab durch Kent erlebt und bei jedem Wetter als Richterbank gedient hatte. Delacours Schreiber und der Bailiff flankierten den Sheriff, dann kamen zu beiden Seiten je sechs Geschworene – freie Männer aus Waringham und den umliegenden Weilern. Die Büttel und der Henker warteten mit verschränkten Armen unter den Bäumen, und die Beschuldigte stand vor dem Sheriff, mit dem Rücken zu ihren Nachbarn.
»Irgendwer sollte für dich sprechen, Frau«, brummte Delacour. »Wo ist dein Mann?«
»Er hat sich vor fünfzehn Jahren in der Scheune erhängt, Mylord.«
Delacour nickte. Seiner Miene war anzusehen, dass er sich den Rest mühelos zusammenreimen konnte und solche Geschichten schon zu oft gehört hatte. Er war noch keine vierzig und dies seine erste Amtszeit, aber für einen Moment sah er alt aus. So als habe er mehr als genug von den Menschen und ihren Abgründen. »Nun, was immer Lord Waringham dir angetanhat, du hattest kein Recht, seinem erklärten Feind Zugang zur Burg zu verschaffen.«
»Nein, Mylord.«
»Du kannst froh sein, dass wir dich nur aufhängen.«
»Ich weiß.«
»Sieh nur, was du angerichtet hast«, hielt der Richter ihr vor, als hätte sie ihm widersprochen. »Waringham, siebzehn seiner Männer, neun Knappen und zwei treue Wachmänner sind tot. Was wirst du deinem Schöpfer sagen, wenn du vor ihn trittst?«
»Dass es mir leid um die Jungen tut, Mylord. Und um Miles und Roger, die Wachen. Dass es um Waringham und seine Bande von Strolchen nicht schade ist, und dass er mir verdammt übel mitgespielt hat.«
»Waringham?«
»Ich meinte Gott, Mylord.«
Delacours Miene wurde verschlossen. »Du solltest dich jetzt lieber nicht noch weiter versündigen, Alys.«
Sie zuckte die massigen Schultern und sagte nichts mehr.
Der Sheriff schickte die Geschworenen nicht fort, um ihr Urteil zu beraten, wie es eigentlich üblich war. Er sah erst nach links, dann nach rechts, und erntete von beiden Seiten nur ernstes Nicken. Er war ein beleibter Mann, und als er sich erhob, wirkte er schwerfällig. »Alsdann: Du hast deinem Herrn die geschuldete Treue gebrochen und ihn verraten. Du trägst die Verantwortung für neunundzwanzig Menschen, die ihr Leben aushauchen mussten, ohne zuvor von ihren Sünden losgesprochen zu sein. Darum wirst du am Halse aufgehängt, bis der Tod eintritt. Möge Gott deiner Seele gnädig sein.« Er nahm die Feder, die sein Schreiber ihm hinhielt, und setzte seinen Namen unter das schriftliche Urteil. Dann nickte er Vater Michael und seinen Bütteln zu.
Der Dorfpriester von Waringham löste sich aus der schweigenden Zuschauerschar, trat zu Alys und legte ihr segnend die Hand auf den gesenkten Kopf. Während die Männer des Sheriffs ihr die Hände auf den Rücken banden und sie zu denBuchen führten, ging er leise betend neben ihr her. Als sie im Schatten der Bäume Halt machten, hielt er ihr ein Kruzifix hin. Alys zögerte einen Augenblick, dann kniff sie die Augen zusammen und küsste das Kreuz.
Auf Anweisung des Bailiffs von Waringham war ein dicker Balken mit einer Schlinge daran zwischen zwei der majestätischen Buchen angebracht worden;
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