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Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige

Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige

Titel: Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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seine Enden ruhten je in einer stabilen Astgabelung. Es war ein provisorischer Galgen, und der Balken hatte eine deutliche Schieflage, aber er war besser als nichts. Ordentlich verurteilte Übeltäter hängte man nicht einfach an einen Baum – das gehörte sich nicht.
    Der maskierte Scharfrichter trat hinzu und schaute Vater Michael an. Der schlug das Kreuzzeichen über Alys und nickte ihm zu. Der Henker wandte sich an Alys. »Wirst du mir vergeben?«
    »Ich vergebe dir.«
    Er legte ihr die Schlinge um den Hals und zog den Knoten fest. Dann wandte er der Verurteilten den Rücken zu, schulterte das lose Ende des Seils, packte es mit seinen riesigen Pranken und zerrte.
    Adam legte seiner Schwester den Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Nicht, Emily«, sagte er leise. »Sieh nicht hin.« Sie presste das Gesicht an seine Brust und weinte. Er stellte Melvin auf die Füße und hielt ihm mit der freien Hand die Augen zu. Der kleine Bruder klammerte sich an sein Hosenbein und rührte sich nicht. Adam sah unverwandt zu seiner Mutter. Sein Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck, aber Tränen rannen ihm über die stoppeligen Wangen.
    Alys war eine schwere Frau, doch der Henker hatte Bärenkräfte. Mit einem Ruck lösten sich ihre Füße vom Boden. Ein Aufseufzen ging durch die Menge wie das Säuseln des Windes. »Angenehme Höllenfahrt, du durchtriebenes Miststück!«, gab der alte Piers ihr mit auf den Weg. Aber der grauenvolle, gurgelnde Laut, der aus Alys’ zugeschnürter Kehle drang, übertönte sie alle. Unkontrolliert, in Panik strampelten ihre Füße, sodass ihr Leib zu pendeln begann.
    Vater Michael war zu seiner Gemeinde zurückgekehrt, hatte das Paternoster begonnen, und viele stimmten mit ein. Adam und Emily waren nicht die Einzigen, die Alys’ Abschied mit Tränen begleiteten. Adam war wachsbleich geworden, und Jack, der Vormann des Gestüts, trat unauffällig hinter ihn, damit er ihn auffangen konnte, falls der Sohn der Gehenkten in Ohnmacht fiel.
    Alys gab keinen Laut mehr von sich, da sie keine Luft holen konnte, aber es war noch lange nicht vorbei. Ihr Gesicht hatte sich dunkelrot verfärbt und nahm nun eine bläulich-violette Tönung an. Es arbeitete, verzog sich zunehmend zu einer grotesken Fratze. Und immer noch starrte Adam sie an. Wie kann er das aushalten? , fuhr es Julian durch den Kopf.
    Dann war es plötzlich, als vollführe der Strick eine Pirouette. Er drehte sich, und niemand konnte sich zuerst einen Reim darauf machen. Die leisen Gebete wichen verwundertem Raunen. Als die Zuschauer begriffen, dass das Seil durchgescheuert war und die straff gespannten Stränge sich auseinanderdrehten, ging ein verhaltenes Luftschnappen durch die Reihen. Im nächsten Moment gab das Seil unter seiner Last nach und riss. Mit einem dumpfen Laut landete Alys wieder im Gras, wo sie reglos liegen blieb.
    »Gott sei Dank«, flüsterte Julian. Seine Kehle kam ihm seltsam trocken vor, und ihm war schlecht.
    »Gott hat sich verdammt viel Zeit gelassen«, knurrte Daniel an seiner Seite. »Ich hoffe, nicht zu lange.«
    »Ist es vorbei?«, fragte Lady Juliana. Sie hatte sich nicht überreden lassen, auf der Burg zu bleiben, aber sie hatte die Augen fest geschlossen, seit Alys’ Füße den Kontakt zum Boden verloren hatten.
    Daniel legte ihr für einen Moment die Hand auf den Arm. »Es ist vorbei.«
    Sie standen mit Geoffrey ein wenig abseits von den Bauern am Ufer des Tain. »Soll ich dich heimbringen, Tante?«, fragte der junge Stallmeister fürsorglich.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Master Fennyng, was ist das für eine unverantwortliche Schlamperei?«, donnerte der Sheriff.
    Der Henker riss sich die schauerliche Maske herunter, enthüllte ein pockennarbiges, ausgemergeltes Gesicht, welches schreckenerregender als die Maske wirkte, und breitete ratlos die Arme aus. »Das Seil war tadellos in Ordnung, Mylord. Ich hab’s genau überprüft, Ehrenwort.«
    Adam hatte seine Geschwister losgelassen und war auf nicht ganz sicheren Beinen zu seiner Mutter gelaufen. Er kniete sich neben sie ins Gras, löste den Knoten des Stricks, der sich tief in ihren Hals gegraben hatte, drehte sie auf den Rücken und legte die Hand auf ihre Brust.
    »Verschwinde da, Junge«, befahl der Sheriff. »Weck sie nicht noch mal auf, um Himmels willen, sie hat’s ja fast geschafft. Holt einen neuen Strick, Fennyng. Euren eigenen dieses Mal, wenn ich bitten darf. Ich will keine weiteren Überraschungen erleben.«
    Der Scharfrichter nickte zerknirscht

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