Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Er hatte es auch nicht für nötig befunden, ihr von seiner ersten Frau zu erzählen. Blanche wusste bis heute nicht, wie und wann sie gestorben war. Jedenfalls hatten sie bei ihrer Ankunft hier vor einem Jahr drei Stiefsöhne erwartet, damals acht, sechs und fünf Jahre alt, und sie hatten Blanche mit Schrecken erfüllt – genau wie umgekehrt. Blanche hatte sich selbst noch fast als Kind betrachtet, bis ihr Vater ermordet worden war. Kaum ein halbes Jahr danach sollte sie plötzlich Mutterstelle an drei Knaben vertreten. Sie fühlte sich hoffnungslos überfordert. Malachy, der älteste, war feindselig und unverschämt zu ihr gewesen, und dass sein Vater ihn deswegen schlug, nahm ihn nicht gerade für seine Stiefmutter ein. Richard war scheu und verstört gewesen, fast so wie sie selbst. Inzwischen hatten sie sich einigermaßen aneinander gewöhnt. Der kleine Andrew hatte es ihr am leichtesten gemacht und sie beinah vom ersten Tag an als Mutter akzeptiert. Blanche nahm an, dass er im Gegensatz zu seinen Brüdern an seine wirkliche Mutter kaum Erinnerungen hatte.
Ächzend und schlurfend kam Mary mit dem Kessel herein, stellte ihn auf den Tisch und verteilte Grütze in die bereitstehenden Schalen.
»Heb die Füße hoch«, knurrte Thomas ihr nach, als sie wieder hinausging, und sie grummelte: »Ja, ja, Sir Tom.«
Was für sonnige Gemüter allesamt, dachte Blanche und unterdrückte ein Seufzen.
Sie leerten die Schalen ebenso schweigend, wie sie das Brot verspeist hatten. An Thomas Devereux’ Tafel wurde nur gesprochen, wenn Gäste bewirtet wurden, ansonsten bestand er auf sittsamem Schweigen bei Tisch, denn so machten es die heiligen Männer und Frauen in den Klöstern, hatte er Blanche erklärt.
Erst nachdem das Dankgebet gesprochen war, entspannten die Jungen sich, und Thomas wandte sich an seine Frau: »Ich breche morgen nach Chester auf. Bürste meinen Sommermantel aus und sorg dafür, dass die alte Vettel mir genug Proviant einpackt.«
»Gewiss.«
Sie missbilligte es, dass er vor den Kindern so abfällig von der Köchin sprach, aber sie hatte gelernt, ihn nicht zu kritisieren. »Chester? Darf ich erfahren, was Euch dorthin führt?«
»Der Earl of Chester hat einige Marcher Lords eingeladen, um Probleme beim Eintreiben ausstehender Pachten jenseits der Grenze zu erörtern.«
Blanche runzelte verwundert die Stirn. »Ich hätte geschworen, der Prince of Wales ist der Earl of Chester.«
Devereux hob das Kinn. »Wie war das?«
Blanche spürte einen heißen Stich im Bauch. Sie winkte beschwichtigend ab. »Hört nicht auf mein Gefasel. Entschuldigt.«
»Wir reden wieder einmal, bevor wir nachgedacht haben, ja? Nicht ratsam.« Er sagte es mit einem trügerischen Lächeln, damit seine Söhne nicht merkten, dass er ihr drohte. Er demütigte sie niemals vor den Kindern, denn das passte nicht in sein Bild der gottgewollten Ordnung: Das Weib war dem Manne untertan, aber die Kinder hatten Vater und Mutter zu ehren. Er bestand darauf, dass die Jungen ihr Respekt erwiesen, und setzte dieses wie jedes andere seiner vielen Gesetze mit eiserner Hand durch.
Aber Blanche war gewarnt. Sie senkte den Kopf und sagte nichts mehr. Dabei wusste sie ganz genau, dass der kleine Prinz Edouard der Earl of Chester war – es war einer der Erbtiteldes englischen Thronfolgers. Der Mann, den Thomas meinte, war Hugo of Grangecross, der Sheriff von Cheshire, der in Vertretung des kleinen Prinzen auch dessen Pflichten in der Grafschaft wahrnahm und den viele deswegen für den Earl of Chester hielten. Es war egal. Es spielte überhaupt keine Rolle, und Blanche fand ihre Neigung zur Besserwisserei selbst nicht besonders sympathisch. Aber dass sie sich so leicht von ihrem Mann einschüchtern ließ, machte ihr Sorgen. Sie hatte immer geglaubt, sie sei mutig. Früher hatte sie sich von niemandem etwas sagen lassen und immer offen ausgesprochen, was sie dachte. Ein Wildfang war sie gewesen, hatte sich oft genug ihre Regeln selber gemacht. Heute wusste sie, dass das nichts mit Mut zu tun gehabt hatte. Sie war ja nie wirklich ein Risiko eingegangen, denn die Menschen, unter denen sie früher gelebt hatte, hatten sie geliebt. Vorbehaltlos – so, wie sie eben war.
Das war hier ganz anders. Niemand hier wäre im Traum darauf gekommen, Nachsicht mit ihr zu üben. Hier wurde verlangt, dass sie funktionierte: Die Kinder erwarteten, dass sie zwei Mahlzeiten am Tag auf den Tisch brachte, ihre Sachen in Ordnung hielt und ihnen mütterliche Zuwendung
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