Das Spiel der Nachtigall
erleichtert, endlich einen Grund zu haben, um Gilles zu grollen.
»Das tut es«, sagte Gilles eifrig. »Um ganz ehrlich zu sein, mit den Liedern der Troubadoure habe ich nie viel anfangen können. Aber wie man in der Welt leben soll, das geht alle etwas an. Ihr würdet nicht glauben, wie oft ich kürzlich auf dem Weg von Italien mein Leben habe verteidigen müssen und wie viele Reisende ich erschlagen am Straßenrand gefunden habe, auf Bauernhöfen, selbst in Städten. Die wenigsten dieser Toten waren unter die Räuber gefallen.«
Walther war der Letzte, der nicht zugab, dass ein Sänger Lob für sich selbst als Erstes hörte, doch er dachte kaum zum Teufel, hör auf, schon wieder liebenswert zu sein, als ihn das wachrüttelte, was an Gilles’ kleiner Lobrede noch wichtiger war.
»Aus Italien kommt Ihr? Um diese Jahreszeit?«
»Nein, das war im Oktober«, entgegnete Gilles, und in Stefans Stirn grub sich eine tiefe Falte.
»Ihr habt uns noch nicht verraten, woher Euch denn der Wind hierhergetrieben hat«, sagte Judith. Ihre Stimme hatte die gemessene Zurückhaltung verloren und war ein wenig stichelnd geworden. Er hätte sich darüber gefreut, wenn es nicht geschehen wäre, um ihn von der Enthüllung abzulenken, die ihr Gemahl gerade unabsichtlich gemacht hatte. »Ich wähnte Euch längst wieder in Wien.«
»Nun, Herzog Friedrich ist nicht dort, und …«
»… Ihr hattet keinen Wunsch, an seiner Seite zur höheren Ehre Gottes zu streiten?« Diesmal war die Schärfe eindeutig für ihn bestimmt. Walther konnte nicht widerstehen: Er schlug zurück.
»Nein, nicht mehr, als Ihr offenbar den Wunsch hattet, an der Seite der Herzogin Irene zu bleiben. Sie erwartet ein Kind, wisst Ihr? Es muss ein einsames Leben sein, in einer Burg voller Fremder und ohne Ärztin auf seine Niederkunft zu warten …«
»Dann kommt Ihr also aus Hagenau«, stellte Judith fest.
Walther schloss seine Augen. Natürlich konnte er jetzt behaupten, von Irenes Schwangerschaft nur durch Gerüchte erfahren zu haben, doch eigentlich hatte er keine Lust dazu. Er war gerade nach allen Regeln der Kunst von ihr ausgehorcht worden, und selbst als ein Meister dieser Kunst fand er, dass man Tribut zollen sollte, wo es sich gebührte. Auch, wenn er immer noch nicht sicher war, ob das, was er empfand, Bewunderung oder Groll war, Zorn, verletzte Eitelkeit oder doch eine unsinnige Verliebtheit.
»Ja«, sagte er, als er seine Augen wieder öffnete.
»Nun, als ein Lehnsmann Herzog Friedrichs seid Ihr natürlich dem staufischen Haus verbunden«, bemerkte Stefan, dessen Stirn sich wieder geglättet hatte. Walther entschloss sich zu einem kleinen Glücksspiel.
»Um ein Lehnsmann zu sein, brauchte ich ein Lehen«, entgegnete er trocken. »Das habe ich nicht. Solche Güterlosigkeit verleiht einem eine gewisse Freiheit, um zu reisen und die Welt kennenzulernen.«
Stefan hüstelte. »In der Tat?«
»Mein Onkel«, sagte Judith, und zu Walthers Überraschung hatte sich die Schärfe in ihrer Stimme keineswegs verloren, als sie von Stefan sprach, »kann sich das gewiss nicht vorstellen, denn er reist nur, um Güter zu gewinnen, und ist darin ausgesprochen erfolgreich.«
Zum ersten Mal an diesem Abend mischte sich Stefans Gemahlin Martha in das Gespräch. »Nur zum Nutzen seiner Familie«, sagte sie; auch ihrer Stimme fehlte es nicht an Bissigkeit. »Ein armer Mann kann sonst nicht alle möglichen Kostgänger speisen, nicht wahr?«
Walther war nicht sicher, ob das gegen Judith oder ihn gerichtet war. Sogar Gilles machte eine Miene, als fühle er sich betroffen. Es war eine Lage, die man ausnutzen oder entspannen musste. Oder vielleicht beides.
»Wir reisen alle, um etwas zu gewinnen, ob nun Zuhörer, neues Wissen oder Güter«, sagte er begütigend und mit einer Geste, die Judith und Stefan einschloss. »Und es ist ein wahrhaft glücklicher Reisender, der dann mehrere Gewinne für sich vereinnahmen kann.«
»Der Vater kommt aber nie mit guten Geschichten wieder«, beschwerte sich Stefans Sohn. »Er redet immer nur mit Leuten, und einem Drachentöter ist er auch noch nicht begegnet.«
»Dein Vater hat versprochen, dich dem nächsten König vorzustellen, wenn er in Köln eintrifft. Das ist ein großer Held«, erinnerte seine Mutter ihn tadelnd. »Sei nicht undankbar.«
Man hätte eine Nadel auf den Boden fallen hören.
»Ich glaube, es wird Zeit für Euer nächstes Lied, Herr Walther«, sagte Stefan.
Der Rest des Abends verging mit Wintergesängen der
Weitere Kostenlose Bücher