Das Spiel der Nachtigall
König ein Recht auf die ganze Pastete? Ist sie in seinem Magen wirklich besser aufgehoben?« Sie lehnte sich ein Stück vor. »Ich frage mich manchmal, ob die Welt nicht besser dran wäre, wenn jeder Zaunkönig mit seinem Pastetenstück davonflöge und es gar keine Adler gäbe.«
»Ich auch«, erwiderte Walther ehrlich, »nur befürchte ich, dass es dann auch bald keine Pasteten mehr geben wird. Ein Land braucht einen König, der für alle da ist, für ihre Sorgen und Nöte, nicht nur für die Menschen in seinem Herzogtum.« Davon war er inzwischen überzeugt.
»Die Lösung scheint mir einfach«, warf Stefan ein, der es sich auf dem einzigen Lehnstuhl im Raum gemütlich gemacht hatte. »Schließlich mag der Adler der König der Vögel sein, doch der Löwe ist der König der Tiere, mit mehr als genug Kraft, um all die kleinen Gierhälse von der Pastete fernzuhalten. Kurzum, man brauchte ein Wesen, das Adler und Löwe in sich vereint … einen Leoparden etwa.«
Das war mehr als aufschlussreich. Walther spitzte die Ohren. Die Staufer hatten Löwen als Wappentiere, die Welfen Adler. Leoparden kannte er nur, weil einer davon zu den Gaben gehörte, die der alte Herzog von Österreich von den Engländern erhalten hatte, als er seinen Gefangenen freigab: König Richard, der die Leoparden als Wappentier führte. Die Zähringer hatten einen Greif, von dem hier überhaupt nicht die Rede war. Jemanden, der sowohl Adler als auch Löwen oder Leoparden im Wappen führte. Sollte es den geben?
»Solange man so ein Tier nicht von weit herholen muss«, sagte er vorsichtig, denn wenn ihn nicht alles trog, wollte der Kölner Kaufmann damit sagen, dass er Richard von England als nächsten deutschen König bevorzugte. Das war immerhin etwas, mit dem weder der Zähringer noch Philipp gerechnet hatten, und es erschien Walther als eine unsinnige Idee, auf die nur ein Rheinländer kommen konnte. Er wusste, dass die Kölner Richard nach seiner Freilassung einen triumphalen Empfang bereitet hatten, das hatte am Wiener Hof zu mancherlei Scherzen über rheinischen Wein und englisches Bier geführt. Aber wenn man hier der Ansicht war, dass ein Herrscher, der noch nicht einmal in der Landessprache redete, ein geeigneter deutscher König sein würde, dann hatten die Kölner tatsächlich den Verstand verloren. Allerdings hatte er heute niemanden einen derartigen Vorschlag in den Schenken machen hören. Vielleicht war es nur Stefan, der solcher Ansicht war?
»Und ich dachte, Ihr seid ein tapferer Ritter auf der Suche nach Abenteuern«, spottete sein Gastgeber. »Jetzt schreckt Euch schon ein wenig frischer Wind?«
Walther beschloss, auf Zeit zu spielen. Er hatte wissen wollen, was die mächtigen Kölner Kaufleute über die Königswahl dachten, da sie eng mit dem Erzbischof verbunden waren; laut Berthold von Zähringen waren ja sie es, an die sein Geld gehen würde, wenn der Erzbischof den geforderten Preis erhielt. Aber Stefan hatte bisher nichts gesagt, was auf Berthold hinwies, und schien geradeso versessen wie er selbst darauf, aus Walther eine Stellungnahme herauszulocken. Das war, gelinde gesagt, eine Überraschung, denn sosehr Walther an seinen wachsenden Ruf an ein paar Höfen glaubte, so gewiss war er sich auch, dass einem Kaufmann in Köln eigentlich gleich sein konnte, was ein Minnesänger über den nächsten Herrscher dachte. Um also Stefan etwas länger beobachten zu können – und sich an den Anblick Judiths mit ihrem Gemahl zu gewöhnen, der ihn immer noch wie ein Dorn im Schuh stach, jedes Mal, wenn er in ihre Richtung blickte –, erwiderte er: »Mich schreckt, dass ich nicht weiß, was ich mir wünschen soll.« Er spielte ein paar Noten auf seiner Laute, dann stimmte er eines der Lieder an, die er während seiner Reisen verfasst hatte. Er arbeitete noch daran, doch für einen Kaufmannshaushalt sollte diese erste Fassung genügen.
Ich saß auf einem Stein
Und schlug Bein über Bein,
Den Ellenbogen setzt’ ich auf
Und schmiegte meine Hand darauf
Das Kinn und eine Wange.
Da dacht’ ich bei mir bange,
Wie man in dieser Welt sollt’ leben.
Und keinen Rat konnt’ ich mir geben.
Untreue liegt im Hinterhalt
Und auf der Straße fährt Gewalt.
Denn Recht und Fried’ sind tödlich wund.
Die zweie haben keinen Schutz …
»Das stimmt, bei Gott«, sagte Gilles und klatschte Beifall. Als niemand mit einstimmte, fragte er verlegen: »Oh, war das Lied noch nicht fertig?«
»Wenn es Euch gefällt«, erwiderte Walther höflich und war
Weitere Kostenlose Bücher