Das Spiel der Nachtigall
verschwenden wollte. Walters immer rege Vorstellungskraft beschwor sofort Möglichkeiten hervor, die ihm abwechselnd die Kehle zuschnürten und den Wunsch gaben, Otto an einen der Drachen zu verfüttern, die er bisher nur in Liedern gefunden hatte. Doch Judith offen zu fragen, hätte am Ende alles noch schlimmer gemacht. Also tat er, was er so häufig tat: Er kleidete das, was er fühlte, in einen Scherz, der Wahrheit war.
»Nun, eigentlich könnt Ihr Eurem Onkel raten, sein Geld zu sparen, denn Otto wird ganz bestimmt nicht König, und Ihr wisst ja, was mit Menschen geschieht, die in die Höhe springen, ohne darauf geachtet zu haben, ob es da auch etwas zum Festhalten gibt – sie landen mit dem Gesicht im Dreck.«
Ihre Lippen kräuselten sich. »Was macht Euch da so sicher, Herr Prophet?« Sie klang weniger spöttisch als aufrichtig neugierig.
»Prophezeiungen haben ihren Preis«, gab Walther zurück. »Ihr wisst ja, dass ich ein Geschichtensammler bin. Wenn ich Euch verrate, warum ich der Landung im Dreck von Herrn Otto so gewiss bin, höre ich dann von Euch, was genau Euer Onkel sich von der Krönung eines Welfen verspricht?«
Er fragte nicht nur, weil er es wirklich wissen wollte, sondern auch, weil er das Gefühl hatte, dass ihr eine Herausforderung lieber war als ein plumper Versuch, sie wegen etwas zu trösten, von dem er noch nicht einmal wusste, ob es sich überhaupt ereignet hatte. Judith war ihm immer wie eine Bogensehne erschienen, die sich verbog, gewiss, aber nur, um einen Pfeil abzuschicken und sich danach umso sicherer wieder zu straffen.
»Ich weiß nicht, ob dieser Austausch ein gerechter wäre«, sagte Judith, und die Kerzenflammen tanzten in ihren Augen. »Schließlich kann ich mir Euren Grund schon denken. Ihr vertraut darauf, dass die Staufer sich durchsetzen.«
»Das ist nicht der einzige Grund«, gab Walther zurück und fügte nichts weiter hinzu. Auch er konnte Schweigen wirkungsvoll einsetzen.
»Gut«, murmelte sie endlich.
»Gut was?«
»Gut, ich werde Euch sagen, was mein Onkel sich von einer Welfenherrschaft verspricht, wenn Ihr mir den zweiten Grund verratet, warum Ihr sicher seid, dass es nicht dazu kommt.«
»Woher wollt Ihr wissen, dass ich nicht lüge?«
»Ich bin Ärztin«, sagte Judith, »habt Ihr das vergessen? Lügen ist schwieriger, als Ihr glaubt, wenn man jemanden anlügt, der weiß, wie man den menschlichen Körper liest. Könnt Ihr mir helfen, diese Truhe weiter nach hinten zu schieben?«
Walther griff an einem Ende zu, Judith am anderen. Gemeinsam schoben sie ein Ungetüm, das groß und schwer genug war, um eine Leiche zu beherbergen, ein Stück weiter.
»Es würde mir nicht einfallen, an Euch als Ärztin zu zweifeln, aber wenn Ihr nicht Wege gefunden habt, das Augenlicht des Menschen dem der Eule gleichzumachen, dann ist es jetzt in diesem Raum zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen.«
»Gut, ich gebe mich geschlagen. Ich weiß so wenig, ob Ihr lügt oder die Wahrheit sprecht, wie Ihr wissen könnt, wie es sich bei mir verhält.«
»Ich habe Euch vermisst«, sagte er, ehe er sich bewusst war, dass er die Worte laut aussprach, und danach war es zu spät, um sie zurückzunehmen. Er hörte sie Luft holen, den Atem anhalten und wieder ausstoßen. Die riesige Truhe stand zwischen ihnen. Das war ein Glück; es hinderte ihn daran, sich noch einmal zum Narren zu machen.
»Die Stadt Köln wird keinen Zoll zahlen müssen für ihren Handel mit jedem Ort, der König Richard als Herrn hat«, sagte Judith abrupt, und er nahm den Rückzug in den Austausch von Geheimnissen, die wahr oder falsch sein mochten, mit einem Gemisch aus Erleichterung und Enttäuschung an.
»Euer Erzbischof hat bereits seinen eigenen König ausgemacht, und es ist kein Welfe. Er will den Zähringer, da er sich ein hübsches Sümmchen davon verspricht – sich persönlich, nicht für die Stadt Köln. Also kann ich mir nicht vorstellen, dass er auf Euren Onkel und seine Freunde hört.«
Judith neigte den Kopf, was er gerade noch ausmachen konnte, wandte sich zur Tür und sagte: »Das Kissen und den Strohsack, die ich manchmal für meine Patienten brauche, findet Ihr dort hinten.« Sie stand bereits an der Schwelle, als sie leise hinzufügte, ohne sich umzudrehen: »Gott helfe mir, aber ich habe Euch auch vermisst.«
* * *
»Dein Onkel«, sagte Gilles zu Judith, als sie im Dunkeln nebeneinanderlagen, »glaubt, du würdest den Erzbischof darum bitten, unsere Ehe für ungültig zu erklären. Er
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