Das Spiel der Nachtigall
schnalzte mit der Zunge. Hildegunde gehorchte ihm zur eigenen Überraschung widerspruchslos. Der Galopp, in den sie ausbrach, brachte ihn zweimal vom Weg ab, doch seine Stimmung hob sich mit jedem Schritt.
Als ihn Markwart allein eingeholt hatte, keuchend und mit schweißüberströmtem Gesicht, ächzte sein alter Freund: »Dir braucht man nicht die Zunge abzuschneiden, du bist jetzt schon verrückt, vielleicht sogar schon tot.«
»Ich weiß«, sagte Walther und hätte die ganze Welt umarmen können. »Aber war es die Sache nicht wert?«
Kapitel 29
E ines steht fest«, sagte Judith zu Gilles, als sie weit genug entfernt waren, um die Pferde wieder etwas ruhiger traben zu lassen, »ich muss so schnell wie möglich mit der Königin sprechen.«
Gilles zögerte. »Und was, wenn … wenn es sie nicht kümmert?« Judith schaute ihn an. »Du kennst sie«, sagte er hastig. »Ich habe sie nur aus der Ferne gesehen. Aber wenn sie dich als Ärztin brauchte, dann hätte sie dich nicht nach Braunschweig gehen lassen, oder? Und vielleicht kümmert es sie auch nicht, was aus jemandem wird, den sie nicht braucht? Sie ist eine Fürstin. Fürsten sind … anders.«
Die Zweifel, die sie selbst plagten, halfen bei solchen Gedankengängen ganz und gar nicht. »Es geht nicht nur um mich. Was auch immer dieser Botho vorhat, er hat nicht von mir bekommen, was er wissen wollte. Wahrscheinlich lässt er seinen Groll darüber jetzt an Walther aus.«
»Du glaubst nicht, dass er sich zu verteidigen weiß, er und sein Freund?«
»Für eine kurze Weile vielleicht«, gab Judith zurück, »aber wenn sie hier in Bamberg ankommen, dann ist Botho der Neffe des Reichshofmarschalls, Walther mit etwas Glück ein beliebter Sänger, der aber ersetzbar wäre. Das ist nicht Schutz genug, vor allem, wenn er Botho noch wütender gemacht hat, und Walther ist so gut darin, Menschen wütend zu machen.«
Gilles klopfte seiner Mähre beruhigend auf den Hals. »Sprich für dich selbst«, sagte er neckend zu Judith. »Mich hat er noch nie wütend gemacht.«
»Du bist auch ein ausgesprochen geduldiger Mensch«, gab sie mit einem kleinen Lächeln zurück, dann wurde sie wieder ernst. »Gilles, es ist mir bitterernst. Ich muss erreichen, dass die Königin mit den Reichshofmarschall spricht. Wenn Botho auf jemanden hört, dann auf ihn. Und Heinz von Kalden wiederum hat nur den König und die Königin über sich.«
»Dann werde ich auf unserem Weg zurückkehren, um Walther und Markwart abzufangen, sobald klar ist, wo der König in Bamberg residiert, und wir wissen, ob du vorgelassen wirst«, fügte er hinzu, und wenn sie nicht auf zwei verschiedenen Pferden gesessen hätten, dann hätte sie ihn umarmt.
Bamberg stellte sich als Stadt auf mehreren Hügeln heraus. Bereits aus der Ferne konnte Judith eine Burg ausmachen, doch wie sich bereits bei der Stadtwache herausstellte, war Philipp nicht dort, sondern in der kaiserlichen Pfalz neben dem Dom zu Gast. Wegen all der Edlen, die ihm hierher gefolgt waren, und deren Gesinde war die Stadt bis zum Bersten gefüllt; Judith und Gilles stiegen bald ab und führten ihre Pferde zu Fuß durch die Straßen.
Die engen verschachtelten Gassen erinnerten Judith an Teile Kölns, und sie fühlte plötzlich einen Kloß in der Kehle, als ihr bewusst wurde, dass sie ihre Heimatstadt wohl nicht wiedersehen würde. Seltsam: Während der zwei Jahre in Salerno hatte sie kein Heimweh gehabt; damals waren ihre Erinnerungen an Köln überwiegend gute gewesen. Jetzt mischten sich der Ärger und die Enttäuschung über Stefan mit der Erinnerung an den Tod von Richildis und der Magd, die man auch wegen Judiths Versagen hingerichtet hatte. Und doch erschien es auf einmal wie eine nicht verheilte Wunde, dass sie Köln nie wiedersehen sollte. Wenn Otto besiegt ist, sagte Judith sich, dann vielleicht.
Vorerst musste sie jedoch herausfinden, ob sie hier am rechten Platz war, und Irene dazu bringen, Walther und ihr gegen diesen Botho zu helfen. Bereits auf dem Weg den Domberg hoch passierten sie immer wieder Wachen, die sie fragten, was für ein Geschäft sie hierherführte, und darauf hinwiesen, dass es in der Kaiserpfalz ganz gewiss keinen Platz mehr gebe.
»Die Königin erwartet mich«, sagte Judith, was immerhin halbwegs der Wahrheit entsprach, denn Irene und Philipp erhofften bestimmt baldmöglichst einen Bericht über den Pfalzgrafen und dessen Willen, die Seiten zu wechseln und seinen Bruder zu verraten. Ihre Erklärung wurde mit
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