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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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bedrohlich, sondern wie eine selbstverständliche Feststellung, und Irene lächelte. Doch Judith erkannte nun das verletzte Mädchen, das von dem ersten Menschen, zu dem es in einer verzweifelten Lage Zuneigung und ein gewisses Vertrauen gefasst hatte, verlassen worden war. Es war nicht so, wie Walther und Gilles befürchtet hatten, nicht so, dass sie Irene gleichgültig war, ganz im Gegenteil. Es war auch nicht so, dass die Königin ihr Böses wollte. Aber Irene hatte gelernt, Macht zu besitzen und Macht zu gebrauchen, und sie war nicht gewillt, ihren Schutz ohne Gegenleistung zu gewähren.
    Es war ein eigenartiges Zwischending aus Erleichterung, Schuldgefühl und Resignation, das Judith erfasste.
    »Zweifellos, Euer Gnaden … das ist ein Glück.«
    * * *
    Als Walther und Markwart in Bamberg eintrafen, wurden sie bereits erwartet. »Du hast es übertrieben«, brummte Markwart. »Dieser Botho wird beschlossen haben, dass er dich doch lieber in den Kerker werfen lässt, deine ominöse Liste hin oder her.«
    »Abwarten«, gab Walther zurück, doch innerlich war er durchaus nicht so sicher.
    Es stellte sich jedoch heraus, dass der Wächter, der sie in Empfang nahm, sie nicht zu Botho oder dessen Onkel brachte, sondern zu Philipp, der sich sehr viel umgänglicher zeigte als bei seiner letzten Begegnung mit Walther. Offenbar wusste er bereits, dass der Pfalzgraf zum Seitenwechsel bereit war, denn er bedankte sich bei Walther sogar für dessen Hilfe, diese gute Nachricht so rasch zu ihm gebracht zu haben. »Die Magistra Jutta ist voll des Lobes über Euch«, fügte Philipp hinzu.
    Walther unterdrückte gerade noch rechtzeitig ein albernes Grinsen in seinem Gesicht und meinte, es sei ihm eine Freude gewesen, der Magistra behilflich sein zu können.
    »Sagt, Herr Walther, habt Ihr ein paar neue Lieder verfasst, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?«
    Bei unserer letzten Begegnung sind Lieder überhaupt nicht zur Sprache gekommen, dachte Walther, aber sei’s drum. »Gewiss, Euer Gnaden. Es war sogar eine ausgesprochen fruchtbare Zeit für meine Muse.«
    »Das tut gut zu hören. Wisst Ihr, es gibt eigentlich viel zu wenige Lieder, die den Menschen klarmachen, wie die Angelegenheiten der Kirche und die der Welt sich trennen lassen.«
    Mit anderen Worten: Jetzt, da der Papst sich offen auf Ottos Seite gestellt hatte, konnte Philipp gar nicht genug scharfe Töne über Rom hören. Nun, Walther sollte es recht sein. Allerdings war er bei seiner letzten Begegnung mit Philipp abgekanzelt worden wie ein unwürdiger Diener, und er musste etwas klarstellen. »Selbst, wenn es mehr Lieder von dieser Art gäbe, wenn sie nicht von mir sind, Euer Gnaden, bestände die Gefahr, dass sie ungehört verhallen.«
    Philipps Brauen zogen sich zusammen. Er wirkte immer noch jung, aber inzwischen zierte ein kurzer Bart sein Kinn, was ihn mehr als einen Fürsten und weniger als einen Knappen oder ehemaligen Mönch wirken ließ.
    »Das mag sein, Herr Walther«, gab er gedehnt zurück, »doch bis es mir aus allen Ecken des Reiches entgegenschallt, dass der Papst zu jung für sein Amt ist und ich der einzig Richtige für meines bin, fehlt mir noch der Beweis, dass Eure Lieder so sehr gehört werden, wie Ihr das meint.«
    Walther legte eine Hand auf die Brust. »Der Erzbischof von Köln hat sich in eigener Person über diese Lieder empört. Welch besseres Zeugnis für ihre Wirksamkeit kann man verlangen?«
    »Wenn die Bischöfe sich nicht nur empören, sondern das Urteil des Heiligen Vaters so weit anzweifeln, dass sie auf meiner Seite bleiben, oder weitere kirchliche Würdenträger zu mir kommen, dann habt Ihr Eure Antwort«, entgegnete Philipp. »Fürs Erste jedoch soll es mir genügen, wenn Ihr für mich heute Abend spielt.«
    »Nur heute Abend, Euer Gnaden?«, fragte Walther, entschlossen, einen weiteren Glückswurf zu wagen.
    »Nun, ich plane, Weihnachten dieses Jahr in Magdeburg zu feiern, wie es sich für die Geburt unseres Herrn gebührt, wenn ein Jahrhundert zu Ende geht. Wie könnte ich das ohne einen guten Sänger?«
    Es war keine Bitte, für immer an seinem Hof zu bleiben, doch es war in der Stimmung, in der sich Walther befand, Anerkennung genug. Am Ende war es doch nicht nötig, darauf hinzuweisen, dass er jederzeit nach Wien gehen konnte, denn es mochte sehr wohl sein, dass Judith recht hatte, was Leopold betraf.
    Er hoffte, dass Botho genügend eingeschüchtert von der Lüge mit der Verräterliste war, um irgendwo eine gute

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