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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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schien Walther die Vorstellung, dass Grobheit und Gewalt über Verstand und Witz siegen sollten, noch unerträglicher, als es schon gewöhnlich der Fall war. »Wir sind beide Ritter und Anhänger König Philipps, wir sollten einander nicht bedrohen. Ja, Ihr habt recht: Ich würde es nicht ertragen, meine Stimme zu verlieren und stumm zu sein. Es würde mich dem Wahnsinn ausliefern. Aber wer weiß, was ich dann tun könnte? Am Ende fiele auch mir etwas ein dazu, und ich würde mit der Liste in der Hand zum König gehen, so irrsinnig wäre ich dann bestimmt.«
    Botho krauste die Stirn. »Welche Liste?«
    »Da gibt es doch böse Zungen«, sagte Walther freundlich, »die behaupten, dass die Welfen bereit wären, für Spitzel an Philipps Hof ein erkleckliches Sümmchen zu zahlen. Mehr noch, das üble Gerücht behauptet, sie hätten das schon getan, und eine Liste mit den Namen all derer, die damit ihre Einkünfte aufbessern wollten, die gäbe es schwarz auf weiß. Ich weiß nicht, wie Ihr das seht, Herr Botho, doch eine Reise nach Braunschweig, dem Nest, aus dem die Welfen alle stammen, das sieht mir doch beinahe wie ein Geständnis aus, wenn man es mit der Möglichkeit verbindet, dass Euer Name auf einer solchen Liste schon zu finden wäre.«
    »Der Bischof hat mich nach Braunschweig geschickt«, sagte Botho, mit einer Mischung, die nach Ärger und Besorgnis klang. »Jeder weiß das.«
    »Aber wer hat den Bischof auf den Gedanken gebracht, dass eine solche Reise notwendig wäre? Wer als sein oberster Dienstmann?«
    »Das warst doch du, du Hundsfott«, rief Botho. »Du hast es mir angeraten!« Er trat wütend zu Walther, aber Hildegunde keilte aus. Walther konnte sie nur mit Mühe am Zügel festhalten. Nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, sah er, dass sich Markwart zwischen ihn und Botho gestellt hatte, was ihn um seinen Freund fürchten ließ. Markwart war gut im Streit mit seinesgleichen, doch Botho gehörte zu den Rittern, die bereits von Kindheit an gelernt hatten, mit Waffen umzugehen.
    »Herr Botho, nehmt Vernunft an«, sagte Walther begütigend. »Es gibt keinen Grund zum Streit. Wenn Ihr uns auf der Straße erschlagen könntet, gleich hier und jetzt, dann hättet Ihr zwar Euer Mütchen gekühlt, aber ich kann Euch versichern, dass es Euch trotzdem Eure Stelle kosten wird. Die Liste, von der ich gesprochen habe, die gibt es, ich habe sie aber nicht bei mir.«
    »Hat das Weib sie?«, stieß Botho hervor.
    »Nein. Vielleicht hat sie die Markgräfin von Meißen, vielleicht der Abt von St. Josef, vielleicht jemand, den Ihr nicht kennt«, sagte Walther kurzentschlossen, denn Jutta von Thüringen und der Abt hatten bestimmt nichts von einem Botho zu befürchten. »Wenn der Besitzer von mir in einem gewissen Zeitraum keine Botschaften mehr erhält, wird diese Liste an König Philipp gehen. So ist es vereinbart.«
    Botho dachte darüber nach. Seine Hände krampften sich zusammen und lockerten sich wieder. »Nun, dann wollen wir Eure dreckige Zunge in Eurem Schnabel belassen, zumindest heute«, erklärte er großmütig. »Wann kann ich mit der Auskunft über die Pläne des Bischofs rechnen?«
    »Ich glaube, Ihr habt da etwas missverstanden«, gab Walther in seinem sanftmütigsten Tonfall zurück. »Mein Gott, der Tag steckt doch voller Missverständnisse. Wenn Ihr, Herr Botho, Euch als großmütiger Neffe Eures Herrn Onkel erweist – und darunter verstehe ich die Milde, die dafür sorgt, dass meinem treuen Markwart und mir in Bamberg etwas Besseres als ein Stall zur Verfügung gestellt wird –, und dass ein paar liebliche Münzen den Weg in meine Börse finden, dann, werter Herr, werde ich vielleicht bereit sein, zu übersehen, dass Ihr heute mehrfach eine Frau beleidigt habt, die von der Königin hochgeschätzt wird. Ja, ich könnte mich sogar bereit finden, die unfreundlichen Worte gegen mich überhört zu haben, statt die traurige Geschichte vom Verrat in Braunschweig dem König zu erzählen, wenn er mich zu sich bestellt. Aber um von mir auch nur Auskunft über das Wetter zu erhalten, Gevatter, da müsstet Ihr schon wenigstens … ein Buch als Geschenk anbieten.«
    »Ein Buch?«, wiederholte Botho ungläubig.
    »Die Schrift über das Asthma von einem gewissen Maimonides«, sagte Walther, da ihm im letzten Augenblick der graecisierte Name des Arztes und Philosophen und seines Buches eingefallen war, um dessen Verlust Judith so geklagt hatte. »Wir sehen uns, werter Herr«, schloss er, stieg auf und

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