Das Spiel der Nachtigall
verhelfen.
»Es sind Eure Augen«, gab Judith gepresst zurück. »Es ist Euer Leben, Euer Gnaden.«
»Allerdurchlauchtigster«, verbesserte Alexios sie. »Die Mitglieder der kaiserlichen Familie von Byzanz werden mit Höchstedle, Allerdurchlauchtigster oder höchst Erhabener angesprochen. Nach all den Jahren bei meiner Schwester solltet Ihr das eigentlich wissen, Magistra.«
»Im Westen«, warf Bischof Wolfger ein, der aufgeschlossen hatte, »sind wir etwas sparsamer mit solchen Titeln, die nicht Gott gelten, Euer Gnaden.«
Alexios presste die Lippen zusammen. Eine Zeitlang schwieg er, dann fragte er sie, was geschehe, wenn kein Eingriff vorgenommen würde.
»Nun, der graue Star hat nur Euer linkes Auge befallen, aber auch das rechte ist bereits in Mitleidenschaft gezogen. Das geschieht häufig. Auf dem linken werdet Ihr mehr und mehr Eurer Sehkraft verlieren, bis es in ein paar Jahren blind sein wird. Das rechte bleibt Euch vielleicht zwei, drei Jahre länger, aber nach allem, was man mich gelehrt hat, wird es dann nachfolgen.«
»Dann wäre ich jedoch bereits Kaiser«, murmelte Alexios. »Ich könnte mich vorbereiten.«
»Darauf, von Euren Generälen entmachtet zu werden, Euer Gnaden?«, fragte Wolfger sachlich.
»Ihr habt gut reden, Patriarch! Es ist nicht Euer Leben, das auf dem Spiel steht! Ihr seid nicht derjenige, dem eine Nadel ins Auge gestochen werden soll! Würdet Ihr das mit Euch machen lassen?«
»Ja«, sagte Wolfger, ohne zu zögern, ohne weitere Erläuterungen oder Bestätigungen, und daher umso überzeugender. Ein Teil von Judith glaubte ihm; der andere Teil fragte sich, ob es sein ständiges Verhandeln mit Päpsten, Königen und Herzögen war, das ihn in die Lage versetzte, so überzeugend zu wirken.
»Und Ihr?«, fragte Alexios Judith herausfordernd. »Ihr habt ja sogar Angst davor, es selbst zu tun! Weil Ihr wisst, dass es nicht glücken kann, und danach weiter von meiner Schwester beschäftigt werden wollt!«
»Weil ich weiß, dass es in Salerno einen Arzt gibt, der sich viel besser als ich auf Augeneingriffe versteht, Euer Gnaden«, sagte Judith und versuchte, ihren Ärger zu unterdrücken. Alexios war nicht der erste Patient, dem eine Prozedur Furcht einjagte; er war nur höheren Standes. Trotzdem: einen armen Bauern zu besänftigen und Geduld mit ihm zu haben, wäre ihr leichter gefallen. »Wenn ich selbst unter dem grauen Star leiden würde, dann würde ich zu ihm gehen, zu keinem anderen.«
»Ihr habt keinen Thron zu verlieren, falls es nicht glückt«, gab Alexios scharf zurück.
Das habt auch Ihr nicht, dachte Judith. Derzeit seid Ihr nur Kaiser Eurer Wünsche und von Irenes Hoffnungen. Es gelang ihr, diese Äußerung hinunterzuschlucken, doch das, was sie laut aussprach, war das nächstbeste nicht Respektlose, was ihr einfiel. Und das erwies sich als ein Fehler.
»Nein, aber Reb Meir sollte einmal mein Gatte werden. Es wäre mir höchst peinlich, ihn um einen solchen Gefallen bitten zu müssen«, antwortete sie – und wurde sich erst während Alexios’ plötzlichen Schweigens bewusst, was sie damit zugegeben hatte. Bischof Wolfger schaute nicht überrascht, sondern zufrieden, aber auch er schwieg.
»Ihr seid … Ihr wart eine Jüdin?«
Jetzt war es zu spät, um zu leugnen, und im Übrigen wollte sie das auch nicht. »So ist es«, gab sie zurück, ohne auf den Unterschied zwischen seid und wart einzugehen, und schaute ihm direkt ins Gesicht.
»Euer Gnaden«, begann Wolfger.
»Ich werde den Eingriff vornehmen lassen«, sagte Alexios. Nun war es an Judith, verblüfft zu sein. »Wusstet Ihr, Patriarch«, fuhr er im Plauderton fort, »dass wir in Byzanz eine der größten jüdischen Gemeinden überhaupt haben? Natürlich sind ein paar Ärzte darunter. Sie mögen Christus leugnen, aber ihre Finger sind mehr als geschickt. Wenn ein Mitglied der kaiserlichen Familie sie zu Rate zieht, wissen sie, was geschieht, wenn einer von ihnen als Arzt versagt.«
»Und was ist das, Euer Gnaden?«, fragte Wolfger ruhig.
»Alle für einen, einer für alle«, erwiderte Alexios und richtete seine so vage blickenden Augen in Judiths Richtung. »Deswegen hat keiner von ihnen versagt, solange ich mich erinnern kann. Magistra, es mag an der Abendsonne liegen, aber Ihr habt auch einen hellen Glanz um Euch. Seid Ihr sicher, dass es kein Heiligenschein ist? Er leuchtet so hell. Ihr seid wie der Docht in einer Kerze. Oder eine Dame im Feuer.«
Das Hospital, in dem sie unterkamen, brachte Männer
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