Das Spiel der Nachtigall
zurück. »Habt Ihr nicht in Salerno studiert, das in diesem Königreich liegt?«
Ja, man durfte ihn nicht unterschätzen.
»Euer Gnaden, ich war vollauf damit beschäftigt, meine Kenntnisse der Volgare zu verbessern und das Arabische zu erlernen, in dem so viele der medizinischen Schriften verfasst sind. Zudem sprachen die Patienten aus dem oströmischen Reich stets andere Sprachen.«
»Die verdammten Araber«, sagte Alexios unerwartet in seinem Latein, das noch viel stärker als Irenes von einem anderen Sprachrhythmus geprägt war. »So viele gute Provinzen haben wir an sie verloren. Wenn sie nicht gewesen wären, dann wäre das Heilige Land noch unser und christlich, wie es sein sollte.«
»Mit Gottes Hilfe wird es wieder zur Gänze christlich werden, durch die Kraft einer geeinten Christenheit«, stimmte Wolfger zu.
Einmal, nur ein einziges Mal wünschte sich Judith, sie könne einen Christen fragen, warum er mehr in Eretz Israel zu suchen haben sollte als die Araber, aber sie war sich bewusst, dass ihr nie jemand darauf eine Antwort geben würde, die sie hören wollte. Gilles, dachte sie plötzlich, Gilles hätte ich auch so etwas fragen können. Ob er nun wieder in Aquitanien war? Sie seufzte stumm. Gilles hatte ein neues Leben gewählt, und sie sollte es ihm gönnen, statt ihn weiter zu vermissen.
Immerhin hatte ihr Ablenkungsversuch mit dem Griechischen Erfolg, denn Alexios bestand darauf, die Lehren des Patriarchen in seiner Muttersprache zu hören, und damit wurde für sie daraus ein wohlklingender Wortteppich, von dem sie kein Wort verstehen musste. Sie nutzte die Zeit, um Alexios im Halbdunkel des Wagens zu beobachten, so gut es ging. Nach dem, was er ihr geschildert hatte und was sie selbst sehen konnte, hatte sie keinen Zweifel mehr, dass er unter dem grauen Star litt. Wenn sie Meir je um etwas beneidet hatte, dann um seine Sicherheit beim Starstich; sie hoffte, auch diesmal zusehen zu können. Alexios war nicht der Erste, der ihr in den letzten Jahren begegnet war und einen Starstich brauchte, aber nicht von ihr bekommen hatte. Anders als die meisten ihr bekannten Doktores wollte sie ihre Patienten nie für ein Experiment nutzen; sie hätte es nie überwunden, mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Anders als Alexios konnten es sich aber die wenigsten Menschen leisten, nach Salerno zu ziehen. Es müsste einfach mehr Salernos geben, überall!
Sie hatten Lucia und Markwart angeboten, sie mitzunehmen, und waren nicht überrascht, zu hören, dass beide es vorzogen, Teil von Philipps Hofgesinde zu bleiben.
»Gibt es eine Botschaft, die ich deiner Familie ausrichten soll?«, hatte Judith Lucia gefragt.
»Meine Familie hat mich verstoßen, lange bevor ich Salerno verließ, Magistra. Aber wenn Ihr meinem Vater begegnet, Theo dem Wollfilzer«, hatte Lucia mit einem zufriedenen und ein wenig rachsüchtig wirkenden Lächeln hinzugefügt, »dann sagt ihm, dass ich die Amme von Königstöchtern bin. Er hat mich einmal einen Misthaufen genannt, auf dem sich Söldner erleichtert haben, weil er immer glaubte, was er glauben wollte, anstatt mich um eine Antwort zu bitten.«
Dass Markwart bei Lucia bleiben wollte, statt mit Walther und Judith nach Süden zu ziehen und Weib und Kind für ein Jahr oder mehr nicht zu sehen, war verständlich. Dennoch wünschte Judith, er wäre hier. Walther mochte eine gute Meinung von Bischof Wolfger haben, soweit er eben eine hohe Meinung von einem mächtigen Kirchenmann haben konnte, aber sie brachte es nicht über sich, ihm voll zu vertrauen. Sollte der Grund, warum Wolfger Walther bei sich haben mochte, etwas sein, das Walther nicht tun konnte, dann würden sie fliehen müssen, und in so einem Fall wäre es gut gewesen, auf jemanden wie Markwart zählen zu können, der mittlerweile gut mit Waffen umzugehen verstand.
Alexios war das Reisen im Wagen zwar von seiner Flucht her gewohnt, aber hin und wieder litt er unter Erstickungsanfällen, die Judith als folgenschwere Erinnerung an seine Gefangenschaft sah. Man musste ihn in einem Kerker gehalten haben, nicht wie eine Geisel im Palast. Judith schlug deswegen vor, täglich ein, zwei Stunden zu reiten, statt im Wagen zu sitzen. »Man hat Euch eine sanfte Stute gegeben, Euer Gnaden«, flüsterte sie ihm zu, »die Eure edle Schwester während ihrer Schwangerschaften sicher getragen hat. Sie wird auf jeden Druck Eurer Schenkel antworten und Euch nicht verraten.«
Im Wagen wurde aber nicht nur über Religion gesprochen, und nicht
Weitere Kostenlose Bücher