Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Geheimnisse zu hüten oder gar Verhandlungen zu führen, und das war gut so. Alexios wiederum hörte von ihr, es sei der Wunsch des Bischofssohns, demütig in seine Dienste zu treten; der Byzantiner hatte keinen Anlass, einem solchen Wunsch nicht zu entsprechen.
    Als sich der Tross teilte, wartete Judith bis zum allerletzten Moment, um sich von Wolfger zu verabschieden. Er stand vor seinem Pferd, als sie ihren Kopf beugte, den Bischofsring küsste und murmelte: »Es wird mir eine Ehre sein, den Sohn Euer Gnaden so sicher an meiner Seite zu wissen wie Herrn Walther an der Euren.«
    Wolfger sah sie scharf an, doch er fragte nicht, was sie damit meinte. »Das Leben ist so gefährlich, Magistra, dass man nichts versprechen kann, sondern nur um das Beste beten.«
    »In der Tat, Euer Gnaden, doch wir können auch alle danach streben, unser Bestes zu geben. Wenn ich an all die Krankheiten denke, die selbst einen gesunden Mann wie Herrn Hugo plötzlich befallen könnten! Oder an den Schaden, den ein unkundiger Arzt manchmal an falscher Stelle und mit den falschen Mitteln anrichten kann. Deswegen ist es mir auch so wichtig, Euer Gnaden zu versichern, dass ich mich, ganz gleich, was kommen mag, geradeso um das Wohlergehen Herrn Hugos bemühen werde, wie Euer Gnaden das in seiner Güte und Weisheit auch für Herrn Walther in Rom übernehmen wird.«
    »Manche Menschen«, sagte Wolfger langsam, »muss man vor sich selbst beschützen.«
    »Da sind wir uns einig, Euer Gnaden.«
    »Ich glaube, das sind wir, Magistra. Geht hin in Frieden.«

    Hugo, so stellte sich heraus, sprach dank seines Vaters etwas Griechisch, was Alexios sehr freute. Da in der oströmischen Kirche Priester und Bischöfe immer noch verheiratet sein durften, während in der weströmischen Kirche vor nunmehr fast zweihundert Jahren die Ehelosigkeit Pflicht für alle Priester geworden war, hinterfragte er niemals Hugos Legitimität. Es lag ihr im Magen, dass die beiden vor ihr miteinander sprechen konnten, ohne dass sie etwas davon verstand, aber Hugo war einfach nicht der Mann, um daraus einen Vorteil ziehen zu wollen. Er war außerdem nicht der Mann, zu hinterfragen, wie es zu Alexios’ Wunsch nach seinem Geleitschutz gekommen war, oder gar auf den Gedanken zu kommen, sie könne ihn auf ihre Weise als Geisel genommen haben.
    Judith fragte sich, ob Walther das erriet, und wusste nicht, worauf sie hoffte; darauf, dass er es tat, oder darauf, dass es ihm nicht in den Sinn kam. Wichtig war vor allem, dass Wolfger ihr glaubte und sie für fähig hielt, seinem Sohn etwas zuleide zu tun, falls Walther etwas geschah. In Gedanken hörte sie sich schwören, niemals ihr Wissen und ihre Fähigkeiten einzusetzen, um einem Menschen zu schaden, und biss sich auf die Lippen, bis sie schmerzten. Es spielt keine Rolle, sagte sie sich, es spielt überhaupt keine Rolle, weil es niemals dazu kommen wird.
    Aber was, wenn doch? Gilles hatte ihr einmal die Geschichte erzählt, wie der berühmteste aller lebenden Ritter, William Marshal, von seinem Vater als Geisel gestellt wurde, während eines der Kriege, die verschiedene Thronanwärter in England gegeneinander führten. Williams Vater hatte dennoch seinen Eid gebrochen, und als der König, dessen Geisel William war, drohte, den Jungen zu hängen, hatte der Vater erwidert: Dann hängt ihn, ich habe das Werkzeug, um noch mehr Söhne zu machen!
    »Jener König«, hatte Judith an jenem Sommerabend in Braunschweig gesagt, »war ein guter Mann, wenn er es nicht über sich brachte, einen kleinen Jungen hängen zu lassen.«
    »Aber er war ein schlechter König«, entgegnete Gilles. »Niemand nahm ihn mehr ernst danach. Am Ende verlor er seinen Thron.«
    »Hättest du denn an seiner Stelle ein Kind gehängt?«, fragte Judith empört.
    »Nein, aber ich hätte auch nicht damit gedroht oder mir ein Kind als Geisel geben lassen. Drohe niemals mit etwas, das du nicht bereit bist zu tun, das lernt man selbst als Knappe.«
    Judith wusste nicht, ob sie wirklich fähig wäre zu töten, wenn ihr Leben oder das ihrer Lieben bedroht wurde. Vielleicht, wenn es jemand wäre, den sie verabscheute wie Otto, oder gar selbst als Mörder kannte wie Botho? Aber Hugo hatte weder ihr noch Walther je etwas zuleide getan, und wenn er anderen geschadet hatte, dann wusste sie nichts davon.
    Judith betete mit der gleichen Inbrunst darum, dass Wolfger sie für fähig hielt, seinen Sohn zu verletzen, wie darum, dass weder er noch sie je herausfinden mussten, ob sie es

Weitere Kostenlose Bücher