Das Spiel der Nachtigall
vereint mit viel Angstschweiß, der ihn dann in eine etwas bußfertigere Stimmung versetzt?«
»Es gibt wenige Menschen, die einen solchen Schweißausbruch mehr verdient haben, Euer Gnaden«, entgegnete Walther und willigte ein, mit Wolfger nach Rom zu gehen.
* * *
Die Aussicht darauf, Salerno ohne Walther wiederzusehen, verursachte Judith gemischte Gefühle. Einerseits hatte sie sich darauf gefreut, ihm die Stadt zu zeigen, die sie immer noch mehr als jede andere als die ihre empfand. Die Stadt, in der sie erwachsen geworden war, in der sie ihren Beruf erlernt hatte. Andererseits wusste sie, dass sie von dem Moment an, in dem sie vor einem Mitglied der jüdischen Gemeinde von Salerno mit Walther an ihrer Seite erschien, eine Ausgestoßene sein würde, ganz gleich, ob sie sich nun als seine Ehefrau ausgab, was die Taufe voraussetzte, oder nur bekannte, mit einem Christen zusammenzuleben. Salerno würde der erste Ort sein, an dem sie alten Freunden gegenüberstehen und in ihren Augen die Verachtung für den Verrat lesen würde, selbst wenn sie ihn so, wie diese denken mussten, nicht begangen hatte.
Nicht bei allen alten Freunden, gewiss. Es gab einige, die selbst Christen waren, wie Salvaggia oder Judiths Lehrerin Francesca. Doch sie würde am Grab ihres Vaters stehen und wissen, dass dies nicht das Leben war, was er für sie ersehnt hatte. Ihr Vater hatte ihr immer viel Freiheit gelassen, aber er hatte sie sich vermählt mit dem Sohn Rabbi Eleasars gewünscht. Die Vorstellung, sie in einem Verhältnis mit einem Christen zu sehen, hätte ihn entsetzt, und die Verbindungen zu Walther und Gilles wären für ihn noch dazu ehrlose Hurerei gewesen. Er könnte vielleicht Verständnis dafür haben, dass sie sich als Christin ausgab, vor allem, da sie nicht die Taufe empfangen hatte und weiterhin die jüdischen Gebete sprach, aber selbst das bezweifelte sie. Alles, was sie heute war, hätte ihm das Herz gebrochen.
All das war ihr nicht neu, aber darum zu wissen, war eine Sache, es am eigenen Leib zu erfahren, eine andere. Noch dazu war Walther sehr gut darin, Menschen gegen sich aufzubringen, wenn er verärgert war und glaubte, sich verteidigen zu müssen. Sie stellte sich ihn in einem Raum mit Meir und Eleasar vor und bezweifelte, dass dabei Gutes herauskommen würde. Wenn sie hingegen zuerst alleine nach Salerno kam, dann würde es zumindest etwas leichter werden. Ihre alten Freunde würden sie zuerst als die Leibärztin einer Königin und Ärztin eines zukünftigen Kaisers wiedersehen. Je nachdem, ob Meir inzwischen glücklich verheiratet war, möglichst mit drei Kindern, oder immer noch ehelos, würde Judith behutsam einfließen lassen, dass auch sie nun gebunden sei. Sie würde Zeit haben, um Verständnis zu bitten, dass sie als unvermählte Jüdin wohl nie das hätte erreichen können, was ihr als scheinbar vermählte Christin möglich gewesen war. Sie würde Zeit haben, diejenigen, die dann noch mit ihr verkehren wollten, auf Walther vorzubereiten. Ja, für Judith war es wohl in jeder Hinsicht besser, zunächst ohne ihn nach Salerno zu kommen.
Wenn sie nur genauso sicher gewesen wäre, dass es auch für Walther besser war, ohne sie nach Rom zu gehen! Er war sonst immer geneigt, von allen Mächtigen das Schlimmste anzunehmen – doch kaum stellte sich einer von ihnen als Verseschmied heraus, warf er alle Vorsicht über Bord.
Andererseits war es sehr wohl möglich, dass sie diejenige war, die sich irrte und Walther um einen sicheren Gönner brächte, wenn sie von ihm verlangte, Wolfger den Rücken zu kehren. Deswegen schluckte sie all ihre Einwände hinunter. Aber sie nahm sich die Freiheit, Hugo zur Seite zu ziehen und ihm zu sagen, der höchst edle Alexios sei besorgt, den Rest der Strecke bis Salerno ohne das Geleit eines so wackeren Mannes wie ihm zurückzulegen. Hugo blühte bei ihren Worten auf wie ein verkümmertes Veilchen, dem endlich die Sonne schien. Seinen Vater nach Rom zu begleiten, war schon lange nicht mehr neu für ihn, und nach allem, was Walther Judith erzählt hatte, musste Hugo inzwischen dämmern, dass Wolfger ihn mehr aus väterlicher Liebe denn aus echtem Vertrauen in seine Fähigkeiten an seiner Seite behielt. Den Schwager König Philipps weiter durch unsichere Gebiete zu geleiten, war genau die Art von Aufgabe, die ihm da recht kam: ehrenvoll und mit einer Verantwortung, die er tragen konnte; mit Wegelagerern und ungebührlichen Gastgebern würde er bestimmt fertig. Aber er brauchte keine
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