Das Spiel der Nachtigall
unterhielten als durch neue Lieder. Das Lob der Welt tat gut, gewiss, aber jemand, der sich wahrhaft auf die Kunst der Worte verstand, war gleichzeitig der beste und gefährlichste Zuhörer, den ein Sänger haben konnte. Dass Wolfger ihn ausgewählt hatte, das war ein Ausdruck von Respekt, dem ihm niemand mehr nehmen konnte.
Walther verstand allzu gut, warum Wolfger ein solches Geheimnis um das Lied gemacht hatte: Er war in der Tat zu mächtig, als dass ihm irgendjemand, ganz gleich, ob hoch- oder niedriggestellt, unbefangen die Meinung kundtun konnte. Ob Freund oder Feind des Bischofs von Passau, jeder würde ihn, nicht seine Kunst beurteilen.
»Ich werde Euch in Versen schmeicheln, aber ich werde Euren Versen nicht schmeicheln«, antwortete Walther mit einem Lächeln. »Soll ich das beschwören, oder glaubt Ihr mir auch so, Euer Gnaden?«
»So, wie ich Euch nur je geglaubt habe«, gab Wolfger zurück. An seinem Talent zur doppeldeutigen Formulierung hätte man längst den Dichter erkennen können, entschied Walther und versenkte sich in den neuen Abschnitt der Geschichte, in der unglückliche Eide, Rachsucht und Treue zum falschen Mann drauf und dran waren, für den blutigen Untergang ganzer Volksstämme zu sorgen.
»Aber was er von dir will, hat er dir immer noch nicht klargemacht«, sagte Judith unbeeindruckt, als er ihr davon erzählte und gleichzeitig verdeutlichte, was für ein Geheimnis das bleiben müsse.
»Doch, das hat er. Du verstehst einfach nicht, was es bedeutet, einen Mitdichter als Leser …«
»Ich nehme an, es ist ein ähnliches Gefühl wie das, wenn ein Arzt einen anderen, der sein Handwerk wirklich beherrscht, bei einem schwierigen Eingriff beobachtet. Aber dazu braucht er dich nicht auf dieser Seite der Alpen. Er hätte dich bei Philipp lassen und im Frühjahr Boten schicken können.«
»Das ist nicht dasselbe. Im Übrigen konnte er keineswegs sicher sein, dass seine Boten mich bei Philipp angetroffen hätten. Weißt du, ich kann ihn verstehen. Er wird im Verlauf seiner Geschichte besser und besser, und wenn man so etwas Gutes verfasst, dann will man keinen Augenblick länger auf das Urteil warten, als es unbedingt sein muss.«
»Ich muss mit Euch über die Magistra sprechen«, sagte Wolfger am nächsten Tag, »über die Magistra und den höchst erhabenen Alexios. Zeit scheint mir von höchster Bedeutung zu sein, und daher erachte ich es als sinnvoll, wenn Alexios, statt mit mir nach Rom zu kommen, mit der Magistra geradewegs nach Salerno reist, um dort den nötigen Eingriff vornehmen zu lassen. Wenn er dem Papst vorgestellt wird, könnte das sehr viel länger als nur die zwei Stunden einer Audienz dauern, vor allem dann, wenn Seine Heiligkeit an der Aufrichtigkeit seines Versprechens bezüglich des Schismas zweifelt. Inzwischen dürfte überall im Reich bekannt sein, dass Philipp seine Unterstützung für den neuen Kreuzzug erklärt hat, und daher sollten Eingriff wie Heilung eher früher als später geschehen, damit Alexios mit den Rittern der Staufer weiter nach Byzanz reisen kann, wenn sie hier eintreffen.«
Das klang vernünftig, doch Walther fragte sich, warum Wolfger mit ihm darüber sprach, nicht mit Alexios oder Judith, und brachte das so höflich wie möglich zum Ausdruck.
»Weil ich Euch darum bitten möchte, mit mir nach Rom zu reisen, statt mit der Magistra nach Salerno. Ihr könnt ihr später nachfolgen, denn ich gehe doch recht in der Annahme, dass sie eine Weile dort zu verweilen gedenkt?«
Walther nickte, doch Judiths Misstrauen musste ihn trotz aller Begeisterung für das Nibelungenlied angesteckt haben. Wie sollte er Wolfger in Rom nützen? Zum Dichten kam der Bischof und noch nicht bestätigte Patriarch dort gewiss nicht.
»Ich brauche einen Zeugen«, sagte Wolfger, und daraus schloss Walther, dass es mit seiner Selbstbeherrschung gelegentlich doch haperte, wenn der Bischof ihm die Gedanken von der Stirn ablesen konnte. »Der törichte Neffe des Reichshofmarschalls scheint mit jedem Tag mehr zu vergessen, dass seine Gegenwart auf dieser Reise, statt in einem ungeweihten Grab, ein Beweis außerordentlicher Gnade ist. Ihr habt Botho von Ravensburg an jenem Tag in Würzburg gesehen, Herr Walther?«
»Nicht, wie er zuschlug, doch ich habe das Blut an Hand und Mantel gesehen, als er floh, und woher er gerade kam.«
»Das dürfte genügen, zumal er nicht leugnet. Es sei denn, Ihr wollt Herrn Botho das Blut, das er so bereitwillig vergießt, nicht schwitzen sehen,
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