Das Spiel der Nachtigall
Bann- und Absetzungsdekret wider Otto. Walther reckte ständig den Kopf und blickte auf den Bodensee. Allmählich holte er sich einen schiefen Hals, aber er konnte nicht anders.
»Daher«, schloss der Legat, »steht der einzig wahre Kaiser und König des Heiligen Römischen Reiches vor Euren Toren und begehrt Einlass!« Einen endlosen Moment lang schallte ihnen nichts als ein Echo von den Stadtmauern zurück. Dann knirschte es –
– und das Stadttor tat sich auf!
»Die Macht des Wortes«, sagte Friedrich zu Walther, »hat etwas Wunderbares.«
»Es kommt immer darauf an, wer diese Worte spricht, mein Kaiser.«
Da die Stadt für einen Empfang Ottos gerüstet gewesen war, standen in den Straßen bereits Bürger mit Blumen zum Jubeln bereit. Dass nun ein anderer Kaiser auftauchte, verwirrte sie, aber der junge Mann mit den roten Haaren lächelte gewinnend, und bald rief ein älterer Mann gerührt, er gliche seinem Großvater, dem Kaiser Rotbart. Sein noch älterer und offensichtlich schwerhörige Freund sagte zänkisch, es sei unmöglich, dass Barbarossa zurückgekehrt sei, der sei im Heidenland ertrunken.
»Nicht der alte Kaiser!«, schrie der Nebenmann. »Sein Enkel! Das Kind aus Apulien!«
»Lang lebe das Kind aus Apulien!«, griff eine Frau den Satz auf. Der zaghafte Jubel wurde schnell lauter. Friedrich lächelte und winkte weiter, doch erst, als sie bei der bischöflichen Residenz angekommen waren, sagte er mit gesenkter Stimme zu Walther: »Herr Nachtigall, mir scheint, das ist eine weitere Lektion. Nur eine Stunde früher waren sie bereit, Otto zuzujubeln, und nun jubeln sie für mich. Morgen mögen sie jemand anderen feiern. Besser, man verlässt sich nur auf sich selbst.«
Der Festschmaus, der für Otto angerichtet worden war, schmeckte vorzüglich, doch als Walther sich die Mühe machte, mit einem neben ihm sitzenden Vikar zu schwatzen, stellte sich dieser als ein Begleiter von Ottos Quartiermeister heraus, der die gute Gelegenheit genutzt hatte, in der Stadt zu bleiben. Was Walther hörte, führte dazu, dass ihm der Bissen in der Kehle stecken blieb.
»Ganz ehrlich, ich bin froh, von ihm wegzukommen«, sagte der Mann. »Seit die kleine Kaiserin gestorben ist, kann man es Herrn Otto mit nichts mehr recht machen.«
»Die Kaiserin ist tot?«
»Nach drei Wochen Eheleben mit Herrn Otto«, bestätigte der Vikar bedeutsam.
Beatrix, dachte Walther. Das Bedürfnis, zu schreien, war so groß, dass er sich entschuldigte und die Festgäste zurückließ, um auf die Stadtmauern zu klettern und seine Wut in den Wind zu brüllen. Er erinnerte sich daran, wie er das Mädchen in den Bamberger Straßen gefunden hatte, mit keinen größeren Sorgen als denen, eine Bratwurst zu ergattern. Sie hatte eine mörderische Verschwörung wider ihren Vater überlebt, aber nicht Otto, ihren Ehemann. Nein, nicht diesen.
Das hätte nie geschehen dürfen. Er hätte von Wien aus nach Speyer zurückkehren sollen, um mit ihr und Judith zu fliehen, ganz gleich, was sonst geschah.
Judith! Es überlief ihn kalt. Was in ihr vorgehen mochte, konnte er sich nur allzu gut vorstellen. Befand sie sich in Ottos Händen? Unmöglich, dass sie Beatrix alleine hatte sterben lassen.
Jener Morgen in Würzburg stand Walther in brennenden Farben vor Augen, und seine Ohnmacht damals. Nicht noch einmal, das schwor er sich. Er musste einen Weg finden, um Judith zu befreien!
Ottos Boote mit seinen Kriegsknechten und der Ausrüstung hatten inzwischen das Konstanzer Ufer erreicht. Man hatte begonnen, Zelte aufzurichten, und ein kleines Meer von Menschen ergoss sich vor die Stadtmauern, einschließlich eines Herolds, der lauthals rief, der Kaiser begehre Einlass.
»Der Kaiser speist bereits bei uns zu Tisch«, rief ein Stadtwächter hinunter, der offenbar kein glühender Welfenanhänger war. »Das könnt Ihr dem Grafen Otto von Poitou bestellen!«
Immer noch entluden sich Soldaten aus den Booten. »Was, wenn er uns belagert und aushungert?«, fragte ein zweiter Stadtwächter beunruhigt, der neben Walther auf den Zinnen stand.
Walther kam ein Gedanke.
»Lasst mich vor die Stadttore treten, ehe alle Soldaten da unten ihre Befehle erhalten«, sagte er rasch. »Wenn man Herrn Otto den Abschied versüßt, zieht er vielleicht ab, um sich andernorts die Wunden zu lecken, und lässt Eure Stadt in Ruhe. Aber das müsst Ihr jemandem überlassen, der sich auf schöne Worte versteht.«
»Und das seid Ihr?«, fragte der Wächter misstrauisch.
»Kein
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