Das Spiel der Nachtigall
Das hatte er wirklich nicht. Wer konnte denn ahnen, dass die kleine Stauferin sich als so zerbrechlich erweisen würde? Ihre Mutter war doch auch kein Kind von Traurigkeit gewesen. Der Art nach zu urteilen, wie sie ständig schwanger geworden war, musste die Byzantinerin es bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit mit Philipp getrieben haben. Und Philipp, nun, der war zwar ein mönchischer Weichling gewesen, aber von bester Gesundheit; ohne das hilfreiche Schwert des Wittelsbachers hätte er sechzig Jahre alt werden können, oder vielleicht sogar achtzig. Wer konnte ahnen, dass sich beider Spross als so zimperlich herausstellte wie eine Frühlingsblume, die schon bei der geringsten Berührung einging?
Er wusste, was man sagen würde. Bei einer Braut, die das Ehebett nur ganze zwanzig Tage überlebte, musste es zwangsläufig Getuschel geben. Aber gewiss konnte doch kein Mensch glauben, dass er es gewollt hatte. Im Gegenteil! Niemand wäre so glücklich über ein langes und fruchtbares Weiterleben des verwünschten staufischen Görs gewesen wie er!
Zuerst hatte er verboten, dass irgendjemand das Sterbezimmer betrat. Hatte versucht, den Tod des Mädchens geheim zu halten. Aber der verwünschte Pfeffersack, mit dem die Ärztin in sein Lager gekommen war, hatte das verdammte Gebrabbel der Magistra wohl vom Vorzimmer aus verstanden und richtig gedeutet. Seither machte die Geschichte vom Tod der jungen Kaiserin in Nordhausen wie ein Lauffeuer die Runde.
Der Magistra die Schuld zu geben, war Ottos nächste Überlegung, aber erstens war sie erst wenige Augenblicke vor dem Tod von Beatrix erschienen, und zu viele Menschen wussten, dass das Mädchen gleich nach der Hochzeitsnacht krank geworden war. Zweitens gab es noch immer etwas an der Frau, das sie zu mehr als einer austauschbaren Schachfigur machte. Er wusste selbst nicht, was es war. Schließlich hatte er sie gehabt, und das gründlich. Gut war sie nicht gewesen. Hatte nur getan, was er befahl. Wie eine leblose Puppe, deren Glieder man verbiegen musste. Es war also nicht so, dass er sich eine Wiederholung wünschte. Aber er wollte das verdammte Gefühl loswerden, in ihren Augen nicht mehr als eine Seuche zu sein. Er wollte, dass sie ihn wenigstens fürchtete und respektierte. War das etwa zu viel verlangt? Er war der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und diese Würde war ihm nicht in den Schoß gefallen! Er hatte hart darum gekämpft, viele Jahre lang. Hatte seine Jugend dafür geopfert. Hatte erleben müssen, wie sich sein eigener Bruder gegen ihn wandte, wie die verfluchten Pfaffen von ihm abfielen, gerade, als er sie brauchte, und wie die deutschen Fürsten, statt dankbar zu sein, dass sie endlich von einem echten, würdigen Mann regiert wurden, bei der ersten Gelegenheit einen kleinen unerprobten Kläffer wählten, der noch halb in den Windeln steckte.
Otto verstand immer noch nicht, wie es dazu hatte kommen können. An einem Tag war er auf der Höhe seines Glücks gewesen, frei von Gegnern, gekrönt vom Papst, reich an Untertanen und Gold, und im nächsten war ihm alles zwischen den Fingern zerronnen.
Natürlich würde er mit dem Jungen fertig werden. Spielend. Und wenn auch Beatrix tot war, so würde er eben wieder heiraten, eine neue Kaiserin an seiner Seite haben, die ihm Erben und wichtige Verbündete schenken konnte. Da gab es die jüngeren Schwestern, gewiss, aber erstens brauchte er dazu einen Dispens vom Papst, den er jetzt bestimmt nicht bekommen konnte, denn sie waren als Beatrix’ Schwestern dem Kirchenrecht nach auch die seinen, und zweitens war keine von denen bereits mannbar, aber er brauchte rasch einen Erben, schon, weil der Welpe aus Sizilien sich bereits vermehrt hatte.
Die Brabanterin fiel ihm ein, die Kindsbraut von einst, die ihm von ebenjener Magistra vergällt und entfremdet worden war. Marie von Brabant war inzwischen erwachsen – und immer noch unverheiratet. Ihre Mitgift war auch noch stattlich. Er glaubte nicht, dass Hans von Brabant es immer noch wagen würde, sich zu zieren, wenn Otto auf das alte Verlöbnis pochte. Ja, das war es! Er würde Marie heiraten, und bald würde diese unsägliche Peinlichkeit mit Beatrix vergessen sein.
In der Nacht nahm Otto sich eine Nordhausener Hure, aber seine Männlichkeit versagte ihm den Dienst. Er konnte machen, was er wollte, Otto sah immer nur das blutende Gör vor sich und hörte ihre erbärmlichen Schreie, die ihm jede Lust nahmen. Wütend schlug er die Dirne und schickte sie fort.
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