Das Spiel der Nachtigall
Als Nächstes ließ er sich die Ärztin kommen und riss ihr die Kleider vom Leib. Aber auch bei ihr regte sich nichts, im Gegenteil. Er hatte das Gefühl, wenn sie ihn nur anschaute, würde sein sonst so stolzer Dorn immer kleiner werden und von ihm abfallen.
»Hört mir gut zu«, sagte er, »ich bin der Kaiser, ich muss einen Erben zeugen. Ihr Weiber aus Salerno seid doch erfahren in solchen Dingen. Gebt mir ein Mittel, um mich wieder zum Mann zu machen.«
»Selbst der größte Arzt, der je gelebt hat«, entgegnete sie ruhig, »könnte Euch nichts wiedergeben, was Ihr nie besessen habt. Ihr wart nie ein Mann, Otto, und Ihr werdet nie einer sein.«
Ehe er es sich versah, schlug er sie, mit der Faust, und erst, als sie ihn trotz ihrer blutenden Unterlippe unverändert ruhig anschaute, wurde er sich bewusst, was er gerade getan hatte. Mit der offenen Hand schlug man Frauen, Kinder und Dienstboten; Fausthiebe gab es nur unter gleichrangigen Männern.
»Soll das ein Fluch sein?«, fragte er drohend, um wieder die Oberhand zu gewinnen und ihr zu bedeuten, dass er sie ganz und gar nicht als ebenbürtig empfand. Er konnte sie immer noch verbrennen lassen.
Sie schüttelte den Kopf.
Er versuchte es erneut, nun auf eine sanftere Weise. »Es tut mir ja wirklich leid um das Kind, aber ich will sie nicht jedes Mal vor Augen haben, wenn ich mir eine Frau nehme, das versteht Ihr doch gewiss.«
Endlich kehrte wieder Leben in ihre Züge zurück, und er erinnerte sich daran, warum sie ihn überhaupt einmal gereizt hatte, von ihrer unverschämten Andersartigkeit einmal abgesehen.
»Wenn Ihr sie dabei vor Augen habt, dann besteht noch Hoffnung für Euch.«
»Wenn ich bereue«, fragte Otto, »wenn ich öffentlich bereue, wie es einst mein Großvater getan hat, wird dann wieder alles beim Alten sein?«
Die Magistra betrachtete ihn von oben bis unten, und wieder fühlte er sich wie ein Nichts. Gemessen daran, dass er ihr die Kleider heruntergerissen hatte, während er noch sein üppig besticktes Obergewand trug und sie sich beide in seiner Residenz, inmitten seiner Männer, in seinem Gemach befanden, war das einfach nicht zu begreifen.
»Wenn Ihr Euch in Todesqualen windet«, sagte sie, und jedes Wort war präzise gesetzt wie ein Dolch, »und Euch dabei von Euren Priestern auspeitschen lasst, dann wird Euch Gott vielleicht die Hölle ersparen.«
Er warf sie hinaus, aber sosehr er sich auch mühte, mit Wein, mehr Frauen, bei denen seine Männlichkeit ebenfalls versagte, noch mehr Wein, er wusste, dass er ihre Worte nie mehr vergessen würde.
* * *
In der ersten Stadt, die sie nach der Überquerung der Alpen erreichten, wurden Friedrich und sein Gefolge gastfreundlich aufgenommen; Chur gehörte bereits zum alten Herzogtum der Staufer, zu Schwaben, und war deshalb kein echter Prüfstein. Die Stadt, auf welche es ankam, war die nächste, Konstanz am Bodensee. Von dort erhielten sie schlechte Nachrichten: Otto hatte inzwischen erfahren, welchen Weg Friedrich ins Reich nahm, und war mit einem kleinen Heer in Eilmärschen aufgebrochen. Auf den Hügeln des nördlichen Bodenseeufers konnte man bereits die Fahnen erkennen. Bei der Aussicht, zwischen Ottos gut gerüsteten Truppen und einem Haufen abgerissener Reisender ohne Waffen zu wählen, entschied sich Konstanz für den Welfen, der bereits seine Quartiermacher vorausgeschickt hatte, damit sie ihm für seinen Empfang in der Stadt das Festmahl bereiteten.
»Das ist ein Unglück«, sagte Anselm von Justingen düster. »Wenn wir uns nach Chur zurückziehen müssen, dann werdet Ihr so schnell nicht wieder bei deutschen Fürsten willkommen sein, Euer Gnaden.«
»Was genau hat der Bischof von Konstanz gesagt?«, forschte Walther.
»Er hat ausrichten lassen, er würde die Tore der Stadt nur dem rechtmäßigen Kaiser öffnen.«
»Ich verstehe seine Verwirrung«, meinte Friedrich, »aber nach den letzten Nachrichten aus Rom bin das derzeit ich.«
Walther schaute über den See und bildete sich ein, bereits Boote ausmachen zu können. »Vielleicht sollte man den guten Bischof daran erinnern.«
»Dann ergreift Ihr das Wort, Herr Walther!«, höhnte der Justinger.
»Wir brauchen das gewaltigste Wort auf Erden, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das kommt vom Papst, wie Ihr sicher versteht«, gab Walther zurück.
Der päpstliche Legat, der Friedrich seit Rom begleitete, Berard von Bari, trat vor das Stadttor und verlas mit seiner mächtigen Stimme, die kanzelgeübt war, das gesamte
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