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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Gerede.«
    »Die Magistra ist bei Euch?«, rief Walther und zeigte ein Gefühl, das er nicht zu spielen brauchte, höchstens herunterspielen: Betroffenheit und Überraschung, die so überzeugend einhergingen wie selten etwas in seinem Leben.
    »Nicht mehr lange«, gab Otto zurück. »Wenn sie überleben will, dann soll sie beweisen, was sie kann. Ihr haftet mir dafür. Mag sie nun Euch das Leben versauern – ich will sie nicht mehr sehen, das widerwärtige Weib.« Er schnipste mit den Fingern und bedeutete zwei seiner Soldaten, die Magistra zu holen.
    Sie trug einen alten Kittel und keine Haube, als Walther sie erblickte. Ihr rotes Haar, das wieder seine alte Länge erreicht hatte, war nur durch ein Stoffband zurückgehalten und hatte ein paar graue Strähnen mehr. Statt ordentlicher Schuhe ließ Otto sie abgelaufene Sandalen tragen. Nur ein Armesünderhemd wäre ärmlicher gewesen, doch sie ging kerzengerade, mit hocherhobenem Kopf. In seinem ganzen Leben hatte Walther noch nichts Schöneres gesehen.
    »Magistra«, sagte Otto, »Euer alter Verehrer ist hier. Er hat einen Auftrag von mir, und Ihr sollt ihm dabei helfen. Wenn Ihr keinen Erfolg habt, dann werdet Ihr beide auf der Straße betteln und vergessen sein, während man die Taten von Otto dem Vierten für die Geschichtsbücher verzeichnet. Gehabt Euch wohl!«
    Walther tat, was er noch nie getan hatte, während alles in ihm sang: Er machte eine höfische Verbeugung vor Judith und bot ihr seinen Arm, wie es ein Ritter tat. »Meine Dame, wenn Ihr mir die Ehre erweisen wollt, mich nach Konstanz zu begleiten?«
    »Es wird mir eine Freude sein, mein Herr«, erwiderte sie mit unendlich müder Stimme, aber ihre Mundwinkel hoben sich zu einem vertrauten Lächeln. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Er sah, wie abgemagert ihre Finger waren, und schwor sich, so etwas nie mehr zuzulassen. Wenn sie erst innerhalb der Stadtmauern in Sicherheit waren, dann würde er ihr schwören, sie nie wieder zu verlassen. Er würde sie bitten, ihn nie wieder zu verlassen. Aber hier und jetzt galt es, Otto nicht die Genugtuung zu bieten und ihm die Illusion zu lassen, er hätte ihnen etwas zu befehlen. Auf keinen Fall durfte er in seiner Gegenwart auch nur die geringste Schwäche zeigen.
    Judith musste dasselbe denken. Sie ging neben ihm auf die Stadtmauern zu. Ohne zu zögern, ohne es versuchen zu müssen, passten sich ihre Schritte den seinen an, bis sie in einem einzigen Rhythmus das Stadttor erreichten. Nur die Finger auf seinem Arm, die sich mit jedem Schritt tiefer in sein Fleisch pressten, verrieten, was in ihr vorging.
    »Irre ich mich«, sagte Judith leise, während Walther hörte, wie im Inneren die Riegel der Pforte zurückgeschoben wurden, um zwei Menschen durchzulassen, »oder haben wir gerade Abschied genommen von dem Kaiser, den wir gestürzt haben, du und ich?«
    An diesem schläfrigen Septembernachmittag konnte noch niemand sagen, ob die friedliche Übernahme von Konstanz nicht ein einmaliger Erfolg gewesen war und ob Otto nicht recht hatte mit seiner Prophezeiung, in einem Jahr fester im Sattel zu sitzen denn je, während sie beide auf der Straße bettelten. Aber das wäre die Sache wert gewesen.
    Walther dachte daran, was sie bereits erreicht hatten. Mit der gleichen Überzeugung, die ihn vor Jahren, als er in Friedrichs Alter gewesen war, nach Wien gebracht hatte, als junger Niemand, der trotzdem wusste, dass er der berühmteste Sänger des Reiches werden würde, wuchs in ihm die Gewissheit, dass Konstanz nur der Anfang für das Ende des Welfen gewesen war. Otto hatte begonnen, zu verlieren, und er würde nicht mehr damit aufhören, bis er einsam und verlassen starb, während Friedrich zum Kaiser emporstieg.
    Ob Friedrich dann die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen würde oder nicht, das stand in den Sternen, aber das war ein Gedanke für die ferne Zukunft, nicht das Hier und Jetzt.
    »Mein Schatz«, entgegnete er und zog sie näher, »ich glaube, das haben wir.«
    Von der Stadtmauer aus hörte er in einiger Entfernung Ottos Leute die Befehle brüllen, sich wieder einzuschiffen. Neben sich konnte er die blasse Nase einer der Stadtwachen sehen. Als er sich noch einmal zum See umdrehte, konnte er eine Gestalt ausmachen, die ihn und Judith immer noch beobachtete. Ob es sich nun um Otto handelte oder nicht, war nicht zu erkennen. Auch Judith sah ihn, und ehe sich Walther es versah, schlang sie ihre Arme um seinen Hals, zog ihn an sich und küsste ihn, als gälte es,

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