Das Spiel der Nachtigall
geht. Da hilft nur die harte Tour: Staatsbibliothek, Unibibliothek, Antiquariate und Online-Buchhandel, um mir einen Überblick über das Wissen zu dieser Zeit, zu diesem Personenkreis zu verschaffen. Um einen möglichst objektiven Zugang zu finden, ist es außerdem wichtig, unterschiedliche Quellen aus verschiedenen Zeiten über den Hintergrund der Autoren dieser Bücher zu finden, um deren Ansichten im Kontext ihrer Zeit zu verstehen und mit den heutigen vergleichen zu können. Pro Roman landen so deutlich über einhundert Bücher für die Recherche auf meinem Schreibtisch, viele davon auch auf Englisch oder, wenn es sein muss, Französisch, und mindestens die gleiche Zahl lese ich extern, manche davon vor Ort in Universitätsbibliotheken, bei der British Library oder bei Stiftungen.
Haben Sie die realen Orte, an denen Sie die Handlung ansiedeln – beispielsweise Salerno – alle besucht?
Tanja Kinkel: Wien, Salerno, Sizilien und die meisten deutschen Handlungsorte meines Buches habe ich besucht, wobei vieles von dem, was in meinem Roman eine Rolle spielt, so heute nicht mehr existiert. Die Kaiserpfalz in Hagenau beispielsweise, eine der Lieblingsresidenzen der Staufer, wurde unter Ludwig XIV. dem Erdboden gleichgemacht.
Sie haben es bereits erwähnt: In den Mittelpunkt Ihres Mittelalterepos »Das Spiel der Nachtigall« stellen Sie einen der bekanntesten deutschen Dichter, über den man – abgesehen von seinem Werk – kaum etwas weiß. Was hat Sie an Walther von der Vogelweide gereizt?
Tanja Kinkel: Bei den meisten anderen Dichtern seiner Epoche kann man sich aufgrund ihres Werkes kein Bild von ihrer Persönlichkeit machen. Den »Armen Heinrich« zu lesen, verrät unsereins absolut nichts über den Verfasser Hartmann von Aue. Aber in Walthers Liedern sticht sein Charakter hervor, und es ist einer, der uns modernen Autoren sehr vertraut ist – er kämpft um die Anerkennung bei seinem Publikum und ist offen streitlustig, sowohl wenn es um Politik und den Glauben, als auch wenn es um literarische Themen geht. Walther fand sich kaum mit Vorgaben ab: Die Regeln des Minnesanges forderten damals eindeutig Keuschheit – er aber pochte stets darauf, dass die erwiderte und somit sexuelle Liebe der unerwiderten überlegen war. Er wechselte mehrfach die Partei, was die diversen Thronanwärter betraf, und ironisierte in seinen Liedern trotzdem häufig das Prinzip »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing«. Lediglich in seiner Abneigung gegen Innozenz III . blieb er stets unbeirrt und verurteilte ihn öffentlich dafür, die Diktatur der Fürsten nur durch eine Diktatur der Kirche ersetzen zu wollen und Nächstenliebe für Andersdenkende nicht einmal buchstabieren zu können.
Und das im Mittelalter? Solche Gedanken müssen damals doch deutlich gefährlicher gewesen sein als heute.
Tanja Kinkel: Ihre Frage ist berechtigt, denn schon weit weniger offene Worte haben Menschen wie Walther das Leben gekosten. Ein Wunder, dass er sechzig Jahre überlebt hat. Trotz dieses starken Egos blitzt in seinen Texten aber hin und wieder auch eine unerwartete Demut auf. Das alles machte ihn als Person reizvoll, war aber noch keine Romanidee. Ich stellte mir also die Frage: Wie hat Walther es geschafft, all dies zu sagen, ohne die Zunge oder den ganzen Kopf zu verlieren? Dann zündete es bei mir: Ich wollte einen modernen Schelmenroman erzählen – und nicht nur Walthers Geschichte. Von diesem Moment an war mir klar, dass ich ihm einen weiblichen Gegenpart geben würde und dass alle beide zu keinem Zeitpunkt des Romans mit dem Schwert hantieren würden, sondern sich allein durch ihren Verstand durch eine der gefährlichsten Zeiten der deutschen Geschichte bewegen und agieren sollten, lange bevor dies weniger talentierten Männern oder gar niedrig geborenen Frauen normalerweise möglich war.
Wie haben Sie sich der historischen Figur genähert?
Tanja Kinkel: Walthers Motivationen lassen sich, wie schon erwähnt, zum großen Teil aus seinen Liedern herauslesen. Was die Herkunft betrifft, so gibt es vier populäre Theorien. Da Walther als Erstes am Wiener Hof auftauchte, wo er nach eigener Auskunft in seinen Liedern »Singen und Sagen« lernte, erschien es mir eher unwahrscheinlich, dass er aus Frankfurt, Franken oder Böhmen stammte, und ich entschied mich für die Südtiroler These. Für Walther kam es meiner Meinung nach ohnehin immer darauf an, wohin er ging und warum, nicht woher er kam; deswegen gibt es in meinem Roman auch keine
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