Das Spiel der Nachtigall
wollte ich nicht gratulieren, doch es macht mich wirklich glücklich zu wissen, dass du nicht alleine dastehen wirst, mein Kind.«
Auf diese Weise erfuhr Judith, dass Meir ben Eleasar bereits öffentlich als ihr Bräutigam galt. Ob nun sein Vater oder er selbst diese Neuigkeit verkündet hatten, spielte keine Rolle; es zu erfahren, zerschlug die Rüstung aus Empfindungslosigkeit, die sie bisher geschützt hatte. Judith merkte, dass ihre Hände zitterten, während etwas Heißes, Brennendes in ihr aufwallte, und versteckte sie hastig hinter ihrem Rücken. »Die Scheloschim verbieten es, an Hochzeiten teilzunehmen«, sagte sie mit gepresster Stimme.
»Scheloschim?«
»Die dreißig Tage. Es ist der zweite Teil der Trauerzeit.«
Francesca schien das so zu verstehen, dass nach dem Ende der dreißig Tage sofort geheiratet werden würde, und meinte, dass die Prüfung dann im darauf folgenden Monat stattfinden könne.
»Nein«, sagte Judith. »Ich möchte noch in dieser Woche geprüft werden.«
»Aber …«
»Ihr kennt mich. Bin ich etwa nicht so weit?«, fragte Judith herausfordernd. Der Miene Francescas nach zu urteilen, hielt sie dieses Ansinnen für einen Fehler, doch sie gab nach. Judith dankte ihr, entschuldigte sich, kehrte in ihr Haus zurück und schrie sich die Kehle aus dem Leib, keine Worte, sondern nur Laute, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen und sie mit den Fäusten gegen die Wände schlug.
Lucia und Giovanni hielten es für ein weiteres jüdisches Trauerritual.
Kapitel 7
J udith bestand ihre Prüfungen. Sogar diejenigen Ärzte, die sie sonst missbilligten oder ihr aus dem einen oder anderen Grund eher feindlich gesinnt waren, fanden in den Tagen danach wohlwollende Worte über ihren Vater und ihre baldige Hochzeit. Inzwischen kam sie sich vor wie ein Tier, das in einer Falle gefangen saß und bereit war, sein eigenes Bein abzunagen, um wieder zu entkommen. Meir ben Eleasar besuchte sie, nannte sie Magistra und sagte, dass er sich schon sehr darauf freue, wenn sie ihm erst bei seinen Patienten zur Hand ginge.
Sie spürte ein weiteres Mal den Wunsch zu schreien, aber er kannte als Jude jedes Trauerritual und hätte eher an einen Fall von dämonischer Besessenheit geglaubt. Wieder zählte sie in Gedanken alle Vorteile, die in dieser Ehe liegen würden, und sagte sich, dass es kleinlich war zu grollen, weil er es noch nicht einmal für nötig hielt, sie selbst zu fragen; schließlich wusste sie nicht, was genau ihr Vater seinem Vater bereits versprochen hatte. Aber Josef war tot, sie würde ihn nie wieder sehen, nie wieder seine warme Stimme hören oder ihn wegen seiner Vorliebe für Honigkuchen necken, die ihm nicht bekamen. Dass sie stattdessen den Rest ihres Lebens mit einem Mann verbringen sollte, der sie so wenig kannte, dass er ihr Einverständnis für gegeben hinnahm, war der Tropfen Wasser, der das Fass für sie zum Überlaufen brachte.
»Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mich den Rest der Scheloschim in Ruhe verbringen lasst«, sagte sie so höflich, wie es ihr in diesem Moment möglich war, doch an seinem gekränkten Gesichtsausdruck erkannte sie, dass es nicht höflich genug war. Aber er erfüllte ihren Wunsch und ging.
Eine weitere Woche verging. Giovanni fragte, ob er sich eine neue Stelle suchen sollte, denn im Haushalt von Rabbi Eleasar gebe es bereits genügend Gesinde. Lucia, die ihr Kind auf dem Rücken in einem Tragesack trug, obwohl es fast zwei Jahre alt sein musste und bald zu schwer für dergleichen werden würde, machte ein entsetztes Gesicht. Offenbar war ihr die Möglichkeit, entlassen zu werden, noch nicht in den Sinn gekommen. »Wie steht es um Mägde?«, fragte sie hastig.
Judith versicherte, dass sie weiter in ihren Diensten bleiben könnten, doch als die beiden für die Nacht gegangen waren, fragte sie sich, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Als verheiratete Frau würde sie nicht das Recht haben, Mägde und Knechte ohne Einwilligung ihres Gemahls einzustellen oder zu entlassen. Sie konnte das, was nun kommen würde, auch nicht einfach hinausschieben. Sie hatte nur Zeit gewonnen, mehr nicht.
Sie schaute auf ihren Arm, als stecke er tatsächlich in einer Falle. Die Erinnerung an den alten Herzog von Österreich flackerte in ihr auf, an die Leiche mit dem fehlenden Bein. Nicht nur Tiere waren in der Lage, sich Glieder abzuhacken, um vor etwas zu fliehen.
Sie versuchte, die Habseligkeiten ihres Vaters zu ordnen nach Dingen, die sie fortgeben würde, und
Weitere Kostenlose Bücher