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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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aber nach der Hochzeit fragten mehr der Bewohnerinnen Salernos nach ihr; selbst einige der Männer protestierten nicht mehr, wenn ein Magister Judith aufforderte, ihm zu assistieren. Bald erhielten sie und ihr Vater genügend Eier, Obst und Brot von Patienten, um ihren Anteil zum Haushalt von Josefs alten Studienkollegen beitragen zu können; während Salerno sich langsam von der Brandschatzung erholte, waren solche Gaben kostbarer als Geld. Auch die kleine jüdische Gemeinde innerhalb Salernos, die größtenteils aus Ärzten und deren Familien bestand, öffnete sich ihnen, was Judith die Gelegenheit gab, ihr Arabisch zu verbessern, denn die meisten Gemeindemitglieder kamen aus Andalusien.
    Während ihres zweiten Jahres in Salerno ging es ihnen schon gut genug, um ein eigenes Haus zu beziehen und eine Magd und einen Knecht einzustellen, denn obwohl Josefs Finger noch so geschickt wie eh und je beim Ausüben seines Berufes waren, war er nicht mehr kräftig genug, um schwere Dinge zu tragen. Für Judith dagegen war es sowohl Zeitersparnis als auch Erleichterung, einer anderen die Hausarbeit überlassen zu können; es bedeutete, dass sie nach einem langen Tag mit den Kranken in Ruhe Bücher studieren konnte, die sie mit den anderen jungen Ärzten teilte. Die Magd hatte ihr Salvaggia empfohlen, die ihre Freundin geworden war.
    »Und es macht ihr nichts aus, in einem jüdischen Haushalt zu arbeiten?«, hatte Judith vorsichtshalber gefragt, weil trotz der Moslems und Juden in Salerno die christlichen Knechte, die sie zuerst hatten einstellen wollen, gingen, als sie herausfanden, welcher Religion Josef und seine Tochter angehörten: »Nichts für ungut, aber ihr Juden solltet etwas tragen, an dem man euresgleichen sofort erkennt, dann hätten wir erst gar nicht um Arbeit gebeten.«
    »Sie hat ein Kind durchzufüttern, dessen Vater sie nicht nennen will«, hatte Salvaggia erwidert. »Ich vermute, es war ein Mann des Kaisers, doch weil sie nicht darüber spricht, hat sie es wohl freiwillig mit ihm getan. Deswegen wird niemand sonst in der Stadt sie einstellen, du verstehst?«
    Lucia war fünf Jahre älter als Judith und erwies sich als gute Magd, bis auf den Umstand, dass sie zunächst dazu neigte, Judiths Tinkturen, mit denen sie experimentierte, als Abfall zu betrachten und fortzuschütten.
    Es wurde ein glückliches Leben, bis kurz nach dem Tag, als sich Josefs und Judiths Ankunft in Salerno zum zweiten Mal jährte. Judith stand kurz davor, ihre Prüfung abzulegen, als ihr Vater sie bat, mit ihm einen Spaziergang zu machen.
    Sie liefen am Dom St. Matteo vorbei durch Weinberge in Richtung des Castellos. Von der erreichten Höhe waren schon allein die Aussicht über die Bucht, wo am Abend die Sonne das Meer küsste, und der freie Blick in Richtung der Halbinsel von Sorrent die Anstrengung wert. Seit sie, aus Wien kommend, kurz hinter Rom das Königreich Sizilien erreicht hatten und dort, an Neapel vorbei, bis zur Insel Capri gekommen waren, hatte Judith immer wieder gedacht, die Küste, welche sie täglich neu mit immer wieder staunenden Augen begrüßt hatte, könne nirgendwo schöner sein. Und doch war der Blick von Salerno zu den Häusern und kleinen Dörfern an den zerklüfteten Hängen der Halbinsel, wo die Gehöfte sich über dem Meer wie Schwalbennester an die Berge schmiegen mussten, unvergleichlich und ließ die Seele träumen. Bis ihr Vater, dem der Aufstieg schwerer als erwartet zu schaffen gemacht hatte und der immer noch keuchte, die Stille unterbrach.
    »Heute«, sagte er, »hat Rabbi Eleasar mit mir gesprochen – für seinen Sohn.«
    Eleasars Sohn Meir hatte seine Prüfung bereits hinter sich; er gehörte zu den besten jungen Ärzten von Salerno und wurde wegen seines Geschicks in der Augenheilkunde gerühmt. Daher fragte Judith verwundert: »Aber er braucht doch gewiss keinen Lehrer mehr?«
    Ihr Vater seufzte. »Man hört im Leben nie auf, von anderen zu lernen, mein Kind, doch es ist nicht meine Gesellschaft, um die es Meir ben Eleasar zu tun ist.«
    Erst jetzt verstand sie. »Oh.«
    »Ich darf sagen, dass ich etwas in der Art erhofft habe, als ich mich entschloss, mit dir nach Salerno zu ziehen«, sagte Josef. »Unsere Gemeinde in Köln mag die größte in deutschen Landen sein, doch leider mangelte es ihr entschieden an Männern, die eine Ärztin als Frau zu schätzen wüssten.«
    Sie sagte sich, dass sie dankbar und gerührt sein sollte, doch die erste Gefühlsaufwallung, die seine Worte in ihr

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