Das Spiel der Nachtigall
Euch die Möglichkeit, Euch in einer weiteren Sprache zu beklagen. Irene mochte nur ein Werkzeug für die Staufer sein und von Herrn Diepold wie eine Geisel behandelt werden, doch sie war die Tochter eines Kaisers, die Witwe eines Königssohns und die zukünftige Schwägerin eines weiteren Kaisers. Wenn sie von einem Moment auf den nächsten entschied, dass Judith wegen ungebührlichen Verhaltens eine Hand verlieren sollte oder sogar den Kopf, dann würde jeder Mann in diesem Tross ohne Widerspruch dem Befehl Folge leisten.
»Wenn dem so ist«, entgegnete Irene. Da sich Judiths Augen inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, konnte sie erkennen, dass die Byzantinerin lächelte.
Sie war keine so talentierte Lehrerin, wie es ihr Vater gewesen war, doch bis sie in Wien eintrafen, war Irene immerhin so weit, Herzog Friedrich mit ein paar wohlgesetzten Dankesworten in seiner Sprache zu überraschen, als er ihr aus dem Wagen half. Er pries sie dennoch auf Latein und fügte bedauernd hinzu, seine Frau Mutter habe sich leider nach dem Tod seines Vaters in ein Kloster zurückgezogen, und er sei nicht so glücklich wie Herzog Philipp und Kaiser Heinrich, bereits die Hand einer schönen Frau gewonnen zu haben, so dass es seiner Hofhaltung an Lebensart fehle und vor allem an einer Herzogin mangele. Da er wissen musste, wie die eheliche Verbindung zwischen Philipp und Irene zustande kam und es kein Geheimnis war, wie die Kaiserin Konstanze ihren Gatten verabscheute, waren solche höfischen Reden überflüssig, aber was blieb ihm übrig?
»Nicht doch«, erklärte Irene ebenfalls auf Lateinisch. »Ihr seid ganz so, wie ich mir meinen Gemahl wünschen würde.«
Es kostete Judith einige Mühe, doch ihre Miene blieb unbewegt. Vielleicht hatte sie Irene nur Bruchstücke der deutschen Sprache beibringen können, doch die Prinzessin wusste seit Jahren, wie man aus Worten Geschenke oder Waffen machte. Um sich abzulenken, musterte sie schnell die Edelleute, die hinter Friedrich standen, doch sie erkannte niemanden, außer dem Haushofmeister. Nun, es war nicht so, dass sie sich vorgestellt hatte, bei diesem kurzen Aufenthalt am Wiener Hof irgendjemanden wiederzusehen. Oder doch?
Irene wurde in den Räumen der Herzoginwitwe untergebracht. Es war eigenartig für Judith, wieder hier zu stehen, wo sie um ihren Vater gebangt und versucht hatte, Helena zu beeindrucken. Sie fragte sich, ob die Witwe des Herzogs freiwillig ins Kloster gegangen war oder ob ihre Söhne sie dorthin abgeschoben hatten. Soweit sie wusste, war es für adlige christliche Witwen ein sehr geschätzter Lebensabend, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Frau, die sie vor wenig mehr als zwei Jahren in diesen Gemächern erlebt hatte, sich wirklich das Leben einer Nonne wünschte.
Friedrich hatte angekündigt, dass es am heutigen Abend ein Gastmahl zu Ehren von Irene geben würde. Judith fragte sich, ob ihr das noch Zeit ließ, ihre Verwandten zu besuchen. Das versprach, nicht leicht zu werden: Vetter Salomon würde sie als Erstes nach ihrem Vater fragen und dann darauf bestehen, dass sie hier in Wien bliebe. Aber morgen war Freitag, und wenn sie zwei Tage blieben statt einen, dann würde Judith vielleicht nicht nur den Sabbat einhalten, sondern auch an der Seder teilnehmen können. Es wäre das erste Mal, seitdem sie Salerno verlassen hatte.
Ihre Religion zu verheimlichen, war nicht ihre Absicht gewesen. Doch weder Diepold von Schweinspeunt noch Irene hatten sie danach gefragt; jeder war davon ausgegangen, dass sie selbstverständlich eine Christin war. Nachdem sie sich einmal entschieden hatte, Salerno zu verlassen, um nicht heiraten zu müssen, wollte sie nicht mehr zurückgeschickt werden, und sie wusste nicht, ob Diepold eine Jüdin in Irenes Nähe geduldet hätte. Sie wusste auch nicht, ob Irene dies wollte, und schob es Woche um Woche hinaus, es auf die Probe zu stellen.
Ihr Vater wäre entsetzt gewesen. Aber auch Rabbi Mosche ben Maimon hatte, wie sie wusste, eine Zeitlang vorgegeben, er und seine Familie seien Moslems, als er auf der Flucht nach Ägypten war. Nur eine kurze Zeit, doch das änderte nichts. Er hatte sogar eine Schrift verfasst, in der er um Verständnis für diejenigen bat, die ihrem Glauben abgeschworen hatten; man sollte ihnen die Möglichkeit der Rückkehr zum Judentum offenhalten, sagte er, statt sie endgültig zu verdammen.
»Er mag der klügste Kopf sein, den wir in diesem Jahrhundert hervorgebracht haben«, hatte ihr Vater
Weitere Kostenlose Bücher