Das Spiel der Nachtigall
Juden gewesen waren, die sich nicht bekehrt hatten, konnte er nicht für ihre Seelen beten, doch er hoffte, dass der Tod für sie wenigstens schnell gekommen war, ohne lange Qualen. Er bat Gott um Frieden für ihre Familien, einschließlich des kleinen Jungen, der alles mit angesehen hatte. Und schließlich bat er Gott, die Heilerin Judith in Salerno zu behalten, weit, weit von allen Kreuzfahrern entfernt.
Kapitel 10
I n einem von Pferden gezogenen Wagen zu reisen, dessen Breite kaum zwei Schritt beträgt, dachte Judith, ist nicht besser, als auf einem Maulesel zu sitzen. So waren sie und ihr Vater damals nach Salerno gelangt, auf Mauleseln, die auch ihre Habseligkeiten getragen hatten. Das hatte sie zwar nicht vor der Willkür des Wetters geschützt, doch wenn man sich einmal an das Reiten gewöhnt hatte, dann war es angenehmer und weit schneller, als in einem Wagen zu sitzen, wie Fürstinnen es taten.
Judith hatte nun ein paar Wochen lang das zweifelhafte Privileg gehabt, mit der Prinzessin Irene zu reisen. Der Reiz, auf Bärenfellen zu sitzen, hielt sich in Grenzen, wenn man dafür bei jedem Stoß des Rades durchgeschüttelt wurde wie Getreide in einem Mörser und nicht rascher vorwärtskam, als wenn sie gelaufen wären. Zumindest grob vor Wind und Wetter geschützt zu sein, hieß auch, kaum etwas von den bunten herbstlichen Landschaften zu sehen, durch die ihr Tross zog. Da Diepold von Schweinspeunt seine Drohung wahr gemacht und Irenes Damen zurückgelassen hatte, waren der Prinzessin nur Schweinspeunts Mägde geblieben, denen sie nicht traute, und Judith. Unter anderen Umständen hätte Judith bereits nach ein paar Tagen darum gebeten, ein Pferd oder ein Maultier reiten zu dürfen, doch nicht unter diesen. Irene, von Dankbarkeit getrieben, gestattete es sogar Lucia, mit ihrem Kind in dem Pferdewagen zu reisen, doch das führte zu Geschrei und dem permanenten Geruch von Kinderpisse, was wiederum die Prinzessin dazu brachte, sich zu übergeben, bis Judith vorschlug, Lucia in dem Wagen mit dem Gepäck fahren zu lassen, was eine Erleichterung für alle Beteiligten darstellte.
Um die langen Wegstunden im Halbdunkel des Wagens zu verkürzen, schlug Judith Irene vor, ihr Deutsch beizubringen.
» Er wollte, dass ich es lerne«, sagte die Prinzessin düster. »Euer Kaiser. Deswegen habe ich es bisher nicht getan.«
»Nun, Ihr werdet glücklicher sein, wenn Ihr die Menschen versteht, einschließlich Eures Gemahls.«
»Ich habe die Menschen in meiner Umgebung bisher ausgezeichnet verstanden – es hat mich trotzdem nicht glücklich gemacht. Was den Herzog Philipp betrifft, so soll er in einem Kloster erzogen worden sein, und das bedeutet, dass wir uns das, was gesagt werden muss, auf Lateinisch sagen können. Im Übrigen dachte ich«, schloss Irene spöttisch, »dass Ihr die Letzte sein würdet, die mir Empfehlungen gibt, wie man sich mit seinem Gemahl verständigt.«
Meir und sein Vater Eleasar waren sehr bestürzt gewesen, als Judith ihnen von Schweinspeunts »Befehl« berichtete, doch es war ihr nicht entgangen, dass keiner von beiden vorschlug, sie solle sich widersetzen; im Gegensatz zu Judith hatten sie die Brandschatzung Salernos miterlebt. Sie erklärten sich auch bereit, Giovanni als Knecht zu übernehmen, denn der wollte seine Heimat genauso wie Meir nicht verlassen. Lucia dagegen war einverstanden gewesen: »Ich habe hier keine Zukunft ohne Euch.«
»Erinnert Euch an die Geschichte über Adelheid von Burgund: Es ist leichter, in einem fremden Land zu leben, wenn man weiß, was die Menschen von einem wollen, ob man es ihnen nun abschlägt oder gibt«, sagte sie zu Irene, die Bemerkung über Ehemänner überhörend, »und die Menschen können ihre Wünsche in ihrer eigenen Sprache am besten ausdrücken. Glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung.«
»Ihr seid darauf angewiesen, die Menschen zu verstehen, damit Ihr herausfindet, was ihnen fehlt. Ich dagegen könnte mir morgen die Zunge abschneiden und die Ohren durchstechen, es würde doch keinen Unterschied machen. Die Staufer brauchen mich, um Kinder in die Welt zu setzen, falls Konstanzes kleiner Junge stirbt, und vielleicht, weil der Kaiser sich einbildet, er könnte sich auch im Osten auf den Thron setzen. Deutsch zu verstehen ist für keinen der beiden Zwecke nötig.«
Die Räder holperten ein weiteres Mal über dicke Steine, und Judith verlor die Geduld.
»Es würde mir die Zeit vertreiben«, sagte sie und schluckte im letzten Moment hinunter: und
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