Das Spiel des Schicksals
Schachbrett – und genauso unergründlich.
»Im Augenblick nicht«, erwiderte Ahab, mit einer Stimme, die so schwer und hart klang wie Granit. »Aber die Dinge können sich ändern. Es sieht so aus, als ob noch einer von deiner Art auf der Bühne aufgetaucht ist.«
Cat schaute zu dem Monitor, der ihr am nächsten stand, wo sich das eben noch undurchdringliche statische Schneegestöber so weit geklärt hatte, dass sie eine Gestalt erkennen konnte, die durch eine felsige Landschaft ging. Eine männliche Gestalt. Noch einer von deiner Art … ein weiterer Joker? War das etwa Toby? Vielleicht war er, nachdem sie sich verabschiedet hatten, losmarschiert und … aber nein, dieser hier sah größer aus als Toby und bewegte sich auch anders. Ein langbeiniger, schlaksiger Gang, der nichtsdestoweniger zielstrebig und selbstsicher wirkte.
»Ach ja«, sagte Odile mit ihrer leichten, akzentuierten Stimme. »Ich erinnere mich. Er behauptet, einen deiner Ritter zu verfolgen.«
»Man kann nicht leugnen, dass er Hartnäckigkeit beweist. «
Der Wagemut, den Cat noch vor Kurzem verspürt hatte, schwand dahin. Aber das wollte sie sich nicht anmerken lassen. »Wie aufregend. Sagen Sie mir, wie entwickelt sich denn das Spiel dieser Tage?«
»Was diese Runde betrifft, so liegt der Vorteil beim Hof der Schwerter, obwohl der Hof der Münzen nur zwei Trümpfe im Rückstand ist«, erwiderte Odile kühl. »Der
Hof der Kelche hat einen Trumpf gewonnen, aber einen anderen verloren. Der Hof der Stäbe liegt auf dem vierten Platz.«
»Und was passiert, wenn die Schwerter sich alle Trümpfe unter den Nagel reißen?«
»Dann wird der König der Schwerter natürlich der oberste Spielführer. Als alleiniger Herrscher über das Arkanum könnte er Fortuna selbst befehligen und das Schicksal der anderen Spieler nach Belieben entscheiden.«
Odile schien diese Aussicht nicht sonderlich zu beunruhigen. Die Erklärung hierfür folgte sogleich.
»Das Szenario ist reine Spekulation«, sagte sie. »Sollte ein Hof deutlich dominieren, verbünden sich die anderen drei gegen diesen einen.«
»Sehen Sie, genau das verstehe ich nicht«, sagte Cat und bemühte sich um eine feste Stimme. »Ihr kleiner Wettstreit ist doch keinen Pfifferling wert. Nichts davon spielt eine Rolle – für Sie jedenfalls sicher nicht. Sie stecken ja auch nicht in den Schuhen dieser armen Teufel, die ihr Leben oder ihren Geisteszustand riskieren. Für Sie vier geht’s doch nur um Punkte. Wer die meisten sammelt, ist der Boss. Was für einen Sinn hat ein Spiel, das nicht gewonnen werden kann?«
»Oh, das Spiel kann gewonnen werden«, erwiderte Ahab nachdrücklich. »Das ist das Grundprinzip des Arkanums. «
»Aber sie sagte doch gerade, dass, wenn einer von Ihnen die Oberhand gewinnt, die anderen sich zusammenrotten und ihn aufhalten ! «
»Bisher war das so, ja. Aber wer kann sagen, was Fortunas Rad uns bei der nächsten Umdrehung beschert? Ich bin nicht der erste König der Stäbe und – vielleicht – auch nicht der letzte. Das Spiel ist uralt und seine Spieler sind zahlreich. Früher kannte man womöglich andere Möglichkeiten, das Spiel zu gewinnen, hatte Wissen, das heute verloren ist. Vielleicht haben sich mit der Zeit auch die Regeln geändert. Zum Sieg mag nur eine einzige, dramatische Veränderung des Spiels nötig sein oder aber eine Kette kleiner, kaum merklicher Ereignisse.
Aber wir wissen, dass eine Zeit kommen wird, in der ein Spielführer alle anderen aussticht. Und wenn das geschieht, beginnt ein neues Spiel, und zwar unter der Alleinherrschaft dieser Person.«
Ahabs strenge Haltung war heute nicht weniger einschüchternd als am Abend ihrer ersten Begegnung, aber Cat erkannte, dass sich die Könige und Königinnen wenigstens in einer Beziehung kaum von den Glücksspielern im Palais Luxe unterschieden. Auch sie hingen am Haken, hofften auf den Jackpot, auf die Glückssträhne, die jeden Moment einsetzen konnte. »Ich verstehe. Sie vier denken also, dass Sie nur lange genug im Spiel bleiben müssen. Irgendwann werden Sie schon eine Chance bekommen, stimmt’s?«
Odile schob ihre Sonnenbrille nach oben auf den Kopf. Es war das erste Mal, dass Cat ihre Augen sah. Sie waren milchig blau, so hell, dass man sie fast farblos nennen konnte. In der Blässe ihres Gesichts wirkten sie unheimlich.
»Die Chancen spielen kaum eine Rolle. Selbst wenn keinem von uns der endgültige Sieg vergönnt ist, so ist unser Platz im Spiel Belohnung genug. Denn solange wir unsere
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