Das Spiel des Schicksals
Augen. »Hast du auch versucht, mir nachzuspionieren? Als Teil deiner ›Recherche‹?«
»Ähm, na ja, nachdem wir uns im Dark Portal getroffen hatten, war ich neugierig, wo du wohnst. Aber keine Sorge – Soho ist so ein Ameisenhaufen; ich habe dich aus den Augen verloren.«
Cat seufzte. Sie war immer noch wütend, aber gleichzeitig merkte sie, dass sie ungerecht war. Es ließ sich nicht leugnen, dass Toby ziemlich gut über die Karten Bescheid wusste und auch darüber, wie sie ausgespielt wurden, selbst wenn dieses Wissen hauptsächlich hypothetischer Natur war. Sie fragte sich, was für ein Typ diese Kirchgängerin wohl war und ob sie es irgendwie schaffte, religiösen Eifer mit den dunklen Geheimnissen des Arkanums zu verbinden.
Toby wollte sich da nicht festlegen, entweder weil er das Mädchen kaum kannte oder weil er Cat nicht vergraulen wollte. Eins war sicher: Wenn sie so beiläufig im Arkanum ein und aus ging, wie er behauptete, dann war sie sicher mehr als merkwürdig. Cat konnte sich wirklich nicht vorstellen, warum jemand mit dieser Welt mehr als unbedingt nötig zu tun haben wollte.
Aber ausgerechnet auf dem Heimweg wurde ihr wieder einmal bewusst, wie schwer es ihr selbst fiel, Abstand von diesem Spiel zu wahren, auch wenn sie sich alle Mühe gab.
Es war Mittagszeit, und die Straßen in Londons Norden waren fast so verlassen wie an jenem Morgen an der
Sonnenuhr. Als ihr Bus an der Einmündung in eine lange graue Straße, die nach Holborn führte, an einer Ampel anhielt, sah Cat, dass sie parallel zum ersten Stock eines Bürogebäudes saß. Es war ein hässlicher moderner Kasten, dessen Front hauptsächlich aus getönten Glasscheiben bestand. An einem Sonntagnachmittag hätte sich dort eigentlich niemand aufhalten dürfen. Trotzdem waren zwei Personen da. Eine platinblonde Frau und ein älterer schwarzer Mann.
Mit zitternden Händen drückte Cat auf den Knopf, mit dem sie den Fahrer zum Anhalten aufforderte. Sie stieg nur ein kurzes Stück von dem Bürogebäude entfernt aus; ein paar Minuten später stand sie vor dem Haupteingang und spähte zum ersten Stock hinauf. Hatte sie sich geirrt? Aber nein, die Frau war näher ans Fenster getreten und schaute über die Straße. Sie trug eine Sonnenbrille und einen weißen Anzug. Odile, kein Zweifel.
Die Königin der Kelche neigte den Kopf, sodass sie nun direkt auf Cat hinunterschaute. Dann wandte sie sich wieder ihrem Gefährten zu und wischte im Wegdrehen etwas von ihrem Ärmel, Staub oder einen Fussel vielleicht. Die Geste wirkte auf Cat ausgesprochen verächtlich.
Etwas machte Klick. Ganz plötzlich stürzten all die Wut, die Angst und die Verwirrung der letzten Tage wieder auf sie ein. Wieder und wieder drückte sie auf den Klingelknopf. Nach einer Weile hämmerte sie an die Tür. Dann bearbeitete sie die Tür mit Tritten, begleitet von saftigen Schimpfworten. Plötzlich ertönte ein leises Summen, und die Tür ließ sich aufdrücken.
Das war das Letzte, was sie erwartet hatte. Ihre Attacke gegen die Tür war eine Art Protest gewesen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass man sie tatsächlich einlassen würde. Und jetzt stand sie da und traute sich nicht, über die Schwelle zu treten. Aber dann dachte sie an all die anderen Eingänge, an die Unzuverlässigkeit der Schwellen ins Arkanum, und der Trotz siegte über die Unsicherheit. Sie marschierte durch die Empfangshalle und hinauf in den ersten Stock.
Sie kam in ein Großraumbüro. Die Einrichtung war in Beige gehalten. Die kantigen Schreibtische, beladen mit Papieren, Kaffeetassen und Klebezetteln warteten still und einsam auf den Montagmorgen. Mitten im Raum beobachteten die Königin der Kelche und der König der Stäbe einen der Bildschirme. »… ich glaube, es wäre nicht klug, wenn sie jetzt handelt. Der Herrscher hat noch nicht einmal den Fluss erreicht.«
Cat sah, dass alle Computerbildschirme in dem Büro eingeschaltet waren und Bilder zeigten – schemenhafte Gestalten, die sich durch eine verzerrte und undeutliche Landschaft bewegten. Szenen aus dem Arkanum vermutlich, obwohl sie nicht sagen konnte, ob es unterschiedliche Szenen waren oder verschiedene Perspektiven ein und desselben Geschehens. Dem Kribbeln auf ihrer Handfläche nach zu urteilen, befand sich in der Nähe eine Schwelle.
»Wer immer das auch ist, ich hoffe, ihr kriegt was für euer Geld«, sagte sie.
Bedächtig wandten sich die beiden zu ihr um. Der
schwarze König und die weiße Königin. Wie Figuren auf einem
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