Das Spiel des Schicksals
Cat und Toby zogen ebenfalls, verstärkten Blaines Gewicht mit ihrem eigenen. Mittlerweile war das Getöse der Glocken fast unerträglich geworden, und der herumwirbelnde Sand stach wie Nadeln in ihre Haut. Der Vogel in seinem Käfig warf sich verzweifelt gegen die Gitterstäbe, halb verrückt vor Angst.
Irgendwie schafften sie es zu dritt, den Stab zu sich zu ziehen, sodass er zitternd in der Mitte des Uhrwerks stecken blieb. Mit einem Beben und Kreischen, das selbst das Dröhnen der Glocken übertönte, kam die Maschine langsam zum Stehen. Eine Sekunde später gaben die Trümmer der Treppe nach, und Flora taumelte nach vorn. Aber Blaine war da, um sie aufzufangen, und sie konnte unverletzt über das Gewirr aus Metall in Sicherheit klettern.
Das Uhrwerk stand, aber die Glocken läuteten unvermindert weiter, immer lauter – wenn das noch möglich war. Der Lärm war wie ein Hammer, der ihnen aufs Fleisch schlug, sich ihnen wie ein Dorn ins Gehirn bohrte, durch ihr Blut brauste und ungebremst durch ihre Körper strömte. Sand ergoss sich aus dem Raum über ihnen. In einem Sturm aus scharfen Körnern, inmitten des Donners, der auf sie einschlug, warf Cat den Würfel ein zweites Mal. Ein silbernes Rad schimmerte kurz auf der Backsteinwand hinter ihnen auf. Und wenige, kaum zu ertragende Sekunden später war alles vorbei.
KAPITEL 16
Zuerst dachten sie, der Vogel sei tot. Er hatte die Augen geschlossen und kauerte bewegungslos in einer Ecke des Käfigs. Aber als Cat gegen die Gitterstäbe klopfte, krächzte er leise und öffnete ein blutrotes Auge.
Der Vogel war nicht der Einzige, der sich nach den jüngsten Erfahrungen wie durch den Fleischwolf gedreht vorkam. Alle vier Joker hatten aschfahle Gesichter und standen eine Weile nur schwankend da, warteten darauf, dass das Dröhnen in ihren Köpfen aufhören und das Klingeln in ihren Ohren nachlassen würde.
Sie befanden sich in einem felsigen Tal unter einem klaren Nachthimmel. Die Sterne waren so hell und ballten sich in so dichten Haufen zusammen, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatten. Kleine weiße Blumen unter ihren Füßen bildeten das Zeichen des Rades auf dieser Seite. Hier und da waren Reste einer früheren Pflasterung zu erkennen, vermutlich die Überbleibsel einer Straße der Stadt. Vor ihnen schimmerte eine Reihe von Teichen.
»Ich glaube, ich weiß, wo wir sind«, sagte Flora mit
noch zittriger Stimme. »Das sieht aus wie der Stern, der Trumpf der Heilung.«
»Ich fühle mich tatsächlich schon etwas belebt«, stimmte Toby zu und sog die kühle Luft ein, »und viel weniger zerschlagen, als man meinen sollte.«
»Was nicht heißt, dass wir hier keine unangenehmen Überraschungen zu erwarten haben«, warnte Cat.
»Und da ist schon die erste«, murmelte Blaine, als vor ihnen eine taumelnde Gestalt auftauchte.
Es war ein rundlicher junger Mann in einem Nadelstreifenanzug, der eine kleine Steinvase gegen die Brust drückte. Als er die vier Joker sah, keuchte er auf und stolperte.
»Nein – ihr könnt mich nicht aufhalten!«, stieß er hervor. »Bleibt weg!« Und er umklammerte die Vase noch fester und wich vor ihnen zurück. Dabei zuckten seine Augen angstvoll hin und her. »Hat der Hof der Schwerter euch geschickt? Aber die Höfe dürfen mich nicht aufhalten, jetzt nicht mehr. Ich habe es fair gewonnen.«
Die vier wechselten einen Blick. »Meinst du mit ›es‹ ein Ass?«, fragte Cat.
Der Mann schaute sie trotzig an. »Das Ass der Kelche war alles, was ich hatte. Ich wollte es nicht benutzen«, jammerte er. »Aber es hieß: Er oder ich. Die Schwerter hätten sich nicht einmischen sollen – er hat mir keine Wahl gelassen … «
»Haben Sie keine Angst«, sagte Flora sanft. »Wenn Sie wegen der Heilkraft des Sterns hier sind, werden wir Sie nicht aufhalten.«
»Das würde ich auch gar nicht zulassen«, sagte er aufsässig. Er schaute auf die Vase in seinen Armen. »Ich war als Erster in der Grotte, aber er hat das Gefäß zuerst gefunden. Und ich musste es einfach haben. Mir bleibt nichts anderes übrig – ich muss das Wasser mit über die Schwelle nehmen.«
»Das Wasser?«
»Aus der Quelle. Die letzte Prüfung. Meine Frau, sie ist krank – die Ärzte sind alle bloß Quacksalber – und ich … ich habe ihr versprochen … Ich hatte keine Wahl!« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und stöhnte. »Gott vergebe mir …« Aber bereits bei seinen nächsten Worten hatte seine Stimme wieder den weinerlichen, rechtfertigenden Ton
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