Das Spiel des Schicksals
Würfel gerollt hatte, hatten sie das
Zeichen des Rades im Stamm des Orangenbaums eingeritzt vorgefunden. Hier war es in die Achse des Stundenzeigers eingeschmiedet. Die Zeiger und auch die römischen Ziffern am Rande der Uhr waren aus Eisen. Es sah so aus, als hätten sich die Zeiger schon sehr lange nicht mehr bewegt.
Zerrissene Kabel, die vermutlich einmal mit der Glocke im Turm verbunden gewesen waren, lagen zusammen mit Putzbrocken und geborstenen Steinen auf einem Haufen. Das Uhrwerk war im Raum unter ihnen zu sehen. Zwischen den Stockwerken befand sich eine offene Wendeltreppe, an der entlang auch die Verbindung zwischen dem Werk und dem Zifferblatt verlief. Der Teil der Treppe, die hinauf zur Glockenstube geführt hatte, war entweder weggerostet oder abmontiert worden und endete abrupt einen halben Meter über dem Boden.
Toby spähte durch das Zifferblatt. Teile der Glasscheibe fehlten; am Fuß des Turms erstreckten sich Sanddünen in alle Richtungen. »An klaren Tagen konnte man in der Ferne London erkennen … Und es fühlt sich irgendwie falsch an, beim Hinunterschauen kein Kricketfeld zu sehen.«
»Alles im Arkanum fühlt sich falsch an«, murmelte Cat und rückte den Käfig unter ihrem Arm zurecht. Sie trug ihn erst seit fünf Minuten, aber er war ihr jetzt schon lästig. »Schaut mal, da steht etwas geschrieben. Am Rahmen von diesem Ding. Noch mehr lateinische Sprüche.«
»Infima summis, summa infimis mutare gaudemus«, las Flora langsam vor. »Wir schicken den Niedrigsten … an die Spitze und den … Höchsten in den Abgrund.
»Wir erfreuen uns«, sagte Blaine.
»Wie bitte?«
»Gaudemus. Wir erfreuen uns.« Blaines Stimme war ohne jeden Ausdruck, ohne jede Farbe. »Das hast du vergessen. Fortuna, die von sich selbst im Pluralis Majestatis spricht, oder die Zeit – oder beide – erfreuen sich daran, die Niedrigsten zu erheben und die Obersten zu Fall zu bringen.«
»Ähm … ja. Richtig. Wie … ?«
Er lächelte leicht. »Tja, jetzt weiß ich ja, womit ich dich schockieren kann.«
Nach einem kurzen Moment des Zögerns fuhr Flora fort, als ob sie ihn nicht gehört hätte, obwohl sich ihre Wangen gerötet hatten: »Wir müssen uns auf die Suche nach dem Ass machen. Toby glaubt, dass hier das Ass der Münzen im Spiel war, aber wenn der Vogel uns irgendetwas sagen soll, dann doch wohl, dass jedes Ass in jeder möglichen und unmöglichen Form daherkommen kann. In diesem Fall bedeutet das: ein Pokerchip, eine Tonscheibe, sogar eine Handvoll Staub.«
»Das wollen wir doch nicht hoffen, weil wir unglücklicherweise mitten in einer Wüste stehen«, sagte Cat.
»Ich sehe unten nach«, bot sich Toby an und hatte die Hand schon auf dem Geländer. Die anderen schauten sich in der Nähe des Zifferblatts um, aber da gab es nicht viel mehr zu sehen, und nach ein paar Minuten gesellte sich Cat zu Toby.
Sie stieg die gewundene Treppe sehr vorsichtig hinab. Ihre Bewegungsfreiheit war durch den Käfig, den sie
trug, stark eingeschränkt. Die Treppe endete auf einem Steg, der mitten über das Uhrwerk verlief. Zu beiden Seiten des Stegs führten Leitern nach unten.
Cat hatte sich nie sonderlich für Technik interessiert, aber selbst sie war von der Größe und der Komplexität des Mechanismus fasziniert. Es war ein ausgeklügeltes System aus Gewichten, Seilen, Rädern und Trommeln, das in einem Rahmen aus Eisen saß, der fast den gesamten Raum einnahm.
»Beeindruckend, was?« Toby hatte seine Taschenlampe in der Hand und beleuchtete damit den Rahmen. »Schau, da sind drei Reihen von miteinander verbundenen Getrieben: der Zeigerantrieb, das Schlagwerk und das Glockenspiel. Letzteres sollte eigentlich mit den Glocken verbunden sein. Und da ist der Griff, mit dem man das Ding aufzieht.«
Cat fuhr mit der Hand über eine staubige Welle und stellte sich vor, wie es aussehen würde, wenn die Uhr in Bewegung wäre. Ein scharfkantiger Motor aus Häkchen und Rädern, erschaffen, nicht nur um die Zeit zu messen, sondern um sie anzutreiben …
»Habt ihr was gefunden?« Achtlos kam Blaine die Wendeltreppe heruntergetrampelt und ging über den knarrenden Steg zu ihnen.
»Toby erklärt gerade, wie das Ding funktioniert.«
»Und wenn wir gerade bei Erklärungen sind«, sagte Toby. »Was war das vorhin mit dieser Gaudi-Dingsbums? Kanntest du den Spruch?«
»Nein.«
»Du konntest ihn also tatsächlich übersetzen?«
Blaine sah so aus, als wollte er zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, schien sich dann aber
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