Das Spiel seine Lebens
klopfte es. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Hector rauslasse?«
»Wir wollten gerade gehen«, sagte Myron. Er gab ihr seine Visitenkarte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt -«
»Yeah, dann ruf ich Sie an.« Sie sah Esperanza an. »Lass mal wieder von dir hören.«
Esperanza nickte, sagte aber nichts. Sie gingen schweigend nach unten. Als sie in die schw üle Luft des hektischen Nachtlebens traten, sagte sie: »Ich wollte dich da oben nicht erschrecken. «
»Das geht mich nichts an«, sagte er. »Ich war etwas überrascht. Weiter nichts.«
»Lucy ist lesbisch. Ich habe ein wenig damit rumexperimentiert. Ist lange her.«
»Du bist mir keine Erklärung schuldig«, sagte er. Aber er war froh, dass sie es ihm gesagt hatte. Er hatte keine Geheimnisse vor ihr. Der Gedanke, dass sie welche vor ihm hatte, gefiel ihm nicht.
Sie waren auf dem Weg zum Wagen, als Myron pl ötzlich einen Pistolenlauf zwischen seinen Rippen spürte.
Eine Stimme sagte: »Ganz ruhig, Myron.«
Es war der Mann mit dem Fedorahut aus der Tiefgarage. Er griff unter Myrons Jacke und holte die. 38er heraus. Ein zweiter Mann mit einem Gene-Shalit-Schnurrbart hatte Esperanza gepackt und dr ückte ihr eine Waffe gegen die Schläfe.
»Wenn Myron sich bewegt«, sagte Fedora zu seinem Partner, »verteilst du das Hirn von der Kleinen über die Straße.«
Der Mann nickte grinsend.
»Na denn«, sagte Fedora und schob Myron mit der Pistole vorwärts. »Machen wir einen kleinen Spaziergang.«
24
Jessica parkte vor dem Haus, das Nancy Serat f ür die Dauer des Semesters gemietet hatte. Eigentlich war es eher ein kleines Cottage, das etwa einen Kilometer vom Campus der Reston University entfernt am Ende einer dunklen Straße lag. Selbst in der Nacht erkannte Jessica den lachsroten Farbton, der sich mit dem Planeten Erde zu beißen schien. Die Umgebung sah aus, als hätten die Bäume sich übergeben - der Vorgarten der Munsters. Auf einem verwitterten Schild standen Straßenname und Hausnummer: 118 ACRE STREET. In der Einfahrt stand ein blauer Honda Accord mit einem Aufkleber der Reston University.
Jessica ging die zerbr öckelten Reste eines ehemaligen Betonwegs entlang. Sie klingelte und hörte eilige Schritte. Ein paar Sekunden vergingen. Niemand kam an die Tür. Sie klingelte noch einmal. Diesmal war nichts zu hören. Es war völlig still.
»Nancy?«, rief sie. »Hier ist Jessica Culver.«
Sie klingelte noch ein paar Mal, obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, dass man es in einem so kleinen Haus überhört hätte. Es sei denn, Nancy duschte gerade. Das wäre möglich. Durch die Jalousien sah sie, dass im Haus Licht brannte. Der Wagen stand in der Einfahrt. Jessica hatte gehört, dass sich etwas bewegt hatte.
Nancy musste zu Hause sein.
Jessica streckte die Hand nach dem T ürknauf aus. Unter normalen Umständen wäre sie wahrscheinlich nicht auf den Gedanken gekommen, einfach die Tür einer ihr praktisch fremden Frau zu öffnen. (Sie war Nancy nur einmal begegnet.) Doch von normalen Umständen konnte kaum die Rede sein. Sie ergriff den Knauf und drehte.
Abgeschlossen.
Was nun?
Sie blieb noch f ünf Minuten vor der Tür stehen und klingelte. Immer noch nichts. Jessica ging ums Haus herum. Das Licht einer entfernten Straßenlaterne und die im Dunkeln leuchtende Farbe des Hauses halfen ihr, den Weg zu finden. Sie stolperte über ein Dreirad, das aussah, als stamme es aus einer archäologischen Ausgrabung. Ihre Füße verfingen sich im hohen Gras, dessen Spitzen sie an den Waden kitzelten. Auf ihrem Weg spähte Jessica durch die kleinen Lücken zwischen den Jalousien. Sie sah Wände und gelegentlich ein Möbelstück oder ein Bild, aber keine Menschen.
An der R ückseite des Hauses war die Küchenjalousie nicht heruntergelassen. Es brannte kein Licht. Hier war es stockfinster. Die Straßenlaterne, die das Rosa des Hauses anstrahlte, stand auf der anderen Seite. Sie legte den Kopf ans Küchenfenster und schirmte mit den Händen die Reflektionen ab. Ein schmaler Lichtstreifen fiel aus dem vorderen Zimmer in die Küche. Auf dem Tisch lag eine Handtasche. Und ein Schlüsselbund.
Irgendjemand war zu Hause.
Ein Ger äusch hinter ihr erschreckte sie. Jessica fuhr herum, doch es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Ihr Herz raste. Heuschrecken zirpten unablässig. Dann trommelte sie mit beiden Fäusten gegen die Hintertür.
»Nancy! Nancy!«
Sie h örte die Panik in ihrer Stimme und schalt sich selbst dafür. Lass das. Du machst dich doch nur
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