Das Spiel seine Lebens
Ihres.«
Dekan Gordon nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. »Nein«, sagte er langsam, »dazu wird es nicht kommen. Was ich vorhin gesagt habe, war mein Ernst. Ich will ihr helfen. Ich muss ihr helfen.«
Myron wusste nicht, was er davon halten sollte. Der Mann schien wirklich zu leiden, aber Myron hatte schon Vorstellungen gesehen, die selbst Laurence Olivier in den Schatten gestellt h ätten. Hatte er wirklich Schuldgefühle? War seine plötzliche Läuterung darauf zurückzuführen, dass sich sein Gewissen gemeldet hatte, oder war das nur der Selbsterhaltungstrieb? Myron wusste es nicht. Es interessierte ihn auch nicht sonderlich, wenn er nur die Wahrheit erfuhr.
»Wann haben Sie Kathy zum letzten Mal gesehen?«, fragte Myron.
»In der Nacht, in der sie verschwunden ist«, sagte er.
»Sie war bei Ihnen zu Hause?«
Er nickte. »Es war spät. Ich glaube so gegen elf, halb zwölf. Ich war in meinem Arbeitszimmer. Meine Frau lag oben im Bett. Es klingelte. Nicht einmal. Immer wieder, dringlich. Und dazwischen wurde laut geklopft. Es war Kathy.«
Die Worte sprudelten automatisch aus ihm heraus, als w ürde er einem Kind ein Märchen vorlesen. »Sie hat geweint. Oder, eher noch, haltlos geschluchzt. So, dass sie kaum sprechen konnte. Ich bin mit ihr in mein Arbeitszimmer gegangen. Ich habe ihr einen Brandy eingeschenkt und ihr eine Decke um die Schultern gelegt. Sie wirkte «, - er überlegte einen Moment — »sehr klein. Hilflos. Ich habe mich zu ihr gesetzt und ihre Hand genommen. Sie hat sie weggezogen. Und auf einmal hat sie aufgehört zu weinen. Nicht allmählich, sondern ganz plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Sie wurde ganz still. Ihr Gesicht war vollkommen leer, es war überhaupt keine Emotion zu erkennen. Dann fing sie an zu erzählen.«
Er holte noch eine Zigarette aus der Schublade. Er steckte sie sich in den Mund. Beim vierten Versuch bekam er endlich das Streichholz an.
»Sie erzählte alles von Anfang an«, fuhr er fort. »Sie sprach überraschend ruhig, nicht stockend oder mit zittriger Stimme -das war schon fast unheimlich, wenn man bedenkt, dass sie kurz vorher noch hysterisch gewesen war. Aber ihre Worte straften den unbeteiligten Ton Lügen. Sie hat mir Sachen erzählt -« Er überlegte und schüttelte den Kopf. »Ich war überrascht, um es vorsichtig auszudrücken. Ich kannte Kathy damals fast ein Jahr. Ich hielt sie für eine nachdenkliche, nette, ordentliche junge Frau. Das soll jetzt keine moralische Wertung sein. Aber sie war mir immer eher altmodisch vorgekommen. Und jetzt erzählte sie mir Geschichten, bei denen ein Seemann rote Ohren bekommen hätte.
Zu Anfang schilderte sie, dass sie einmal das gewesen war, wof ür ich sie immer gehalten hatte. Das nette Mädchen von nebenan, das alle mochten. Aber dann hätte sie sich verändert. Sie wurde zu einer, wie sie es nannte, »wild rumvögelnden Schlampe. Begonnen hatte es mit ein paar Jungs aus der High-School. Aber schon bald hat sie sich an größere Beute herangemacht. Erwachsene, Lehrer, Freunde ihrer Eltern. Schwarze und Asiaten, lesbische Spiele, flotte Dreier, sogar Gruppensex. Sie hat Bilder von ihren Eskapaden gemacht. Für die Nachwelt, wie sie höhnisch sagte.«
»Hat sie irgendwelche Namen genannt?«, fragte Myron. »Von den Lehrern, den Erwachsenen oder sonst jemandem?«
»Nein. Keine Namen.«
Sie schwiegen. Dekan Gordon wirkte ersch öpft.
»Was ist dann passiert?«, fragte Myron.
Schwerf ällig hob er den Kopf, als bedürfe es großer Anstrengung. »Ihre Geschichte fing an, sich in eine andere Richtung zu entwickeln«, sagte er. »Zum Besseren. Sie sagte, sie hätte verstanden, dass das, was sie tat, falsch und dumm war. Sie sagte, sie hätte angefangen, ihre Probleme anzugehen. Dann hat sie auch Christian Steele kennen gelernt und sich in ihn verliebt. Sie wollte alles hinter sich lassen, aber das war nicht so einfach. Die Vergangenheit holte sie immer wieder ein. Sie versuchte es ein ums andere Mal, und dann...« Er verstummte.
»Und dann?«, soufflierte Myron.
»Dann sah Kathy mich einfach an - ich werde das nie vergessen - und sagte: »Ich bin heute Abend vergewaltigt worden. « Einfach so. Ohne jede Vorwarnung. Natürlich war ich wie vor den Kopf geschlagen. Sie waren zu sechst, sagte sie. Oder sieben, sie war sich nicht ganz sicher. Eine Massenvergewaltigung im Umkleideraum. Ich habe sie gefragt, wann das passiert sei. Sie sagte, vor noch nicht einmal einer Stunde. Sie war in die
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