Das Spiel
aufgleiten.
Die silbernen Buchstaben an der Wand verkünden:
Aufsichtsrat f ür Mathematische und Physikalische Wissenschaft. Das Schild ist so groß, daß es kaum noch genug Platz für das Logo der NSF läßt.
Sie führt uns wortlos an einem Empfangstresen und an einer Sitzgruppe vorbei, die den Charme eines Wartezimmers im Krankenhaus ausstrahlt. Die Wände sind auf beiden Seiten mit Wissenschaftspostern gepflastert. Eines zeigt eine Reihe von Satellitenschüsseln unter einem Regenbogen, ein anderes eine Aufnahme der Pinw-heel-Galaxie vom Kitt Peak National Observatorium. Sie sollen wohl eingeschüchterte Besucher beruhigen. Bei uns verfängt das nicht besonders gut.
Hinter mir öffnet sich eine Aufzugtür. Ich fahre unwillkürlich herum. Wenn wir den landesweit bedeutendsten Experten für Neutrinos finden können, kann Janos das auch. Dem Aufzug entsteigt ein Mann mit einer dik-ken Brille und einem zerknitterten Pullover. Seiner Kleidung nach zu urteilen, gehört er zu den Einheimischen.
Viv bemerkt meine Erleichterung und dreht sich wieder um. Der Wartebereich wird von einem halben Dutzend geschlossener Türen umringt. An allen prangt die Zahl 1005, und die Tür direkt vor uns hat noch eine .09 angehängt. Nur die National Science Foundation kann auf die Idee kommen, ihre Räume mit Dezimalzahlen zu kennzeichnen.
»Doktor Minsky?« Marilyn klopft leise und dreht den Knopf.
Als die Tür aufschwingt, ist der distinguierte ältere Herr bereits aufstanden. Er hat aufgedunsene Wangen, schüttelt mir die Hand und schaut über meine Schulter. Er sucht Cordeil.
»Der Kongreßabgeordnete wird gleich eintreffen«, erklärt Marilyn.
»Er meinte, wir sollten ruhig ohne ihn anfangen«, setze ich hinzu.
»Perfekt.« Minsky mustert mich mit seinen rauchgrauen Augen und kratzt sich den Bart, der wie sein strähniges, dünnes Haar graumeliert ist. Ich versuche zu lächeln, aber sein starrer Blick nervt mich. Deshalb treffe ich mich nicht gern mit Akademikern. Ihre sozialen Fertigkeiten sind manchmal etwas eingeschränkt.
»Ich habe Sie noch nie gesehen«, platzt er schließlich heraus.
»Andy Defresne«, stelle ich mich vor. »Das ist...«
»Catherine«, kommt mir Viv zuvor.
»Eine unserer Assistentinnen«, erkläre ich. Das dürfte genügen, daß er sie keines zweiten Blickes würdigt.
»Dr. Arnold Minsky.« Er schüttelt Viv die Hand. »Meine Katze hieß auch Catherine.«
Viv ringt sich ein freundliches Nicken ab und betrachtet dann das Büro, um jedes weitere Gespräch zu vermeiden.
Von der Sitzgarnitur hat man aus den Panoramafenstern, die sich über die ganze Breite des Büros erstrecken, einen wundervollen Blick über Arlington. Minsky kehrt an seinen Schreibtisch zurück, auf dem sich penibel geordnete Papiere, Bücher und Magazine stapeln. Wie bei seiner Arbeit wird auch hier über jedes Molekül Rechenschaft abgelegt. Ich setze mich ihm gegenüber, und Viv läßt sich in einen Sessel neben dem Fenster gleiten. Von da aus kann sie die belebte Straße weit unter uns im Auge behalten. Sie wartet auf Janos.
Ich suche derweil nach einem Hinweis. Zu meiner Überraschung sind Minskys Wände nicht wie üblich mit Diplomen, Fotos berühmter Personen oder Zeitungsausschnitten geschmückt. Er muß nicht beweisen, daß er dazu gehört.
Doch jedes Universum hat seine eigene Währung. Neben Minskys Schreibtisch reichen Bücherregale mit Hunderten von Büchern und akademischen Texten vom Boden bis zur Decke. Die Buchrücken sind zerlesen. Mir wird klar, daß dies genau der Knackpunkt ist. Im Kongreß signalisiert der goldene Ring Ruhm und Status. In der Wissenschaft ist es das Wissen.
»Wer ist das da neben Ihnen auf dem Foto?« Viv deutet auf einen geschmackvollen Silberrahmen. Das Foto zeigt Minsky neben einem älteren Mann mit lockigen Haaren und einem grübelnden Ausdruck.
»Murray Gell-Mann«, erwidert Minsky. »Der Nobelpreisträger.«
Ich verkneife mir ein Lächeln. Status ist allgegenwärtig.
»Was kann ich für Sie tun?« fragt Minsky.
»Eigentlich«, sage ich, »würden wir Ihnen gern einige Fragen über Neutrinos stellen, wenn das möglich ist...«
65. KAPITEL
»Sie haben die beiden gesehen?« Mit einer Hand hielt Ja-nos sein Handy, mit der anderen steuerte er seine schwarze Limousine. Der Morgenverkehr war selbst für Washington nicht so schlimm, doch im Moment löste selbst ein kurzer Stau einen Wutanfall bei ihm aus. »Wie haben sie gewirkt?«
»Sie sind am Ende«, sagte sein Partner. »Harris
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