Das Spiel
Quarks, die aus Protonen und Neutronen bestehen. Dann gibt es Elektronen und ihre Verwandten, die noch leichter sind. Und schließlich kommen die Neutrinos, die so unglaublich leicht sind, daß einige Zweifler immer noch behaupten, sie hätten keine Masse.«
Ich nicke. Ihm ist klar, daß ich kein Wort verstehe.
»Ihre Bedeutung ist folgende«, fährt er fort. »Sie können die Masse von allem ausrechnen, was Sie in einem Teleskop sehen. Wenn Sie jedoch alles zusammenzählen, kommen Sie nur auf etwa zehn Prozent von dem, was das Universum ausmacht. Neunzig Prozent sind also nicht erfaßt. Wo bleiben diese neunzig Prozent? Oder wie die Physiker schon seit Jahrzehnten fragen: Wo steckt die fehlende Masse des Universums?«
»Neutrinos?« flüstert Viv, ganz die aufmerksame Studentin.
»Neutrinos«, bestätigt Minsky und deutet mit der Briefklammer auf sie. »Wahrscheinlich machen Neutrinos nicht die ganzen neunzig Prozent aus, aber für eine gehörige Portion davon sind sie die Hauptkandidaten.«
»Wenn also jemand Neutrinos untersucht, versucht er ...«
»... die ultimative Schatztruhe zu knacken«, beendet Minsky den Satz. »Die Neutrinos, in denen wir jetzt schwimmen, wurden beim großen Knall produziert, durch Supernovas und durch Fusion sogar im Kern der Sonne. Haben Sie eine Ahnung, was diese drei Dinge gemein haben?«
»Große Explosionen?«
»Die Schöpfung«, erklärt er. »Deshalb versuchen die Physiker, ihr Geheimnis zu entschlüsseln. Deshalb hat man Davis und Koshiba vor einigen Jahren auch den Nobelpreis verliehen. Entschlüsselt man Neutrinos, entschlüsselt man auch die Natur der Materie und die Evolution des Universums.«
Eine hübsche Formulierung, aber sie bringt mich kein Stück der Antwort auf meine Hauptfrage näher. Es wird Zeit, drastischer zu werden. »Könnte man eine Waffe damit bauen?«
Viv reißt ihren Blick vom Fenster los. Minsky legt den Kopf schief und durchleuchtet mich mit seinem wissenschaftlichen Blick. Ich mag ja einem Genie gegenübersitzen, aber man muß kein Genie sein, um zu wissen, daß da etwas im Busch ist.
»Warum sollte jemand sie als Waffe benutzen?« fragt er.
»Ich habe nicht gesagt, daß jemand es tut. Wir wollen nur wissen, ob das möglich ist.«
Minsky läßt die Büroklammer fallen und legt die Handflächen flach auf den Schreibtisch. »Um was für ein Projekt genau handelt es sich eigentlich, Mr. Defresne?« erkundigt er sich.
»Das wird Ihnen sicher der Kongreßabgeordnete besser erklären können.« Ich versuche die Spannung herauszunehmen. Statt dessen verkürze ich nur die Zündschnur.
»Vielleicht ist es das beste, wenn Sie mir den Antrag für dieses Projekt zeigen«, erwidert Minsky.
»Das würde ich gern, aber bis jetzt ist es noch vertraulich.«
»Vertraulich?«
»Ja, Sir.«
Die Lunte ist beinahe abgebrannt. Minsky rührt sich nicht.
»Darf ich offen mit Ihnen sprechen?«
»Was für eine originelle Idee.«
Er benutzt Sarkasmus als mentalen Anschub. Ich winde mich auf meinem Stuhl und tue, als hätte er die Sache unter Kontrolle. Er mag mir zwanzig Jahre voraushaben, aber ich habe dieses Spielchen mit den weitbesten Täuschern und Tricksern gespielt. Minsky dagegen hat einfach nur eine Eins plus in Atomphysik.
»Gut. Vor vier Tagen hat unser Büro einen Antrag für eine hochmoderne Neutrino-Forschungsfabrik erhalten. Er wurde von einem Boten ins Haus des Kongreßabgeordneten geliefert.« Minsky spielt wieder mit der Büroklammer. Er glaubt, er höre jetzt Insiderinformationen.
»Wer hat den Antrag gestellt?« fragt er. »Die Regierung oder das Militär?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Kein anderer könnte sich das leisten. Haben Sie eine Ahnung, was so etwas kostet? Für private Firmen dürfte das einige Nummern zu groß sein.«
Viv und ich wechseln einen Blick. Wir müssen unsere Meinung über Wendell korrigieren, wer auch immer dahintersteckt.
»Wieviel können Sie mir über das Projekt sagen?« erkundigt sich Minsky.
»Laut unseren Informationen dient es ausschließlich zu Forschungszwecken. Doch wenn jemand ein brandneues Forschungslabor fast drei Kilometer unter der Erde baut, erregt das für gewöhnlich irgendwann die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Im Interesse aller Beteiligten möchten wir sicherstellen, daß uns diese Sache nicht in zehn Jahren ins Gesicht springt. Deshalb müssen wir wissen, welchen Schaden es anrichten kann. Im schlimmsten Fall.«
»Sie benutzen eine alte Mine, ja?« erkundigt sich Minsky. Er klingt
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