Das Spiel
die Zange an. In dem Moment knackt etwas unter meinem Fuß. Ein Stück Gips zerbricht in zwei Stücke. Ich erstarre, aber Janos rührt sich nicht.
Er hat es nicht gehört. Ich zähle lautlos bis drei, verlagere mein Gewicht und bereite mich auf den Schlag vor.
Ich bin so nah, daß ich die Naht an den Gürtelschlaufen seiner Hose und die Haare auf seinem Hals sehen kann. Ich habe fast vergessen, wie groß er ist. Von meiner geduckten Position aus wirkt er wie ein Gigant. Ich beiße die Zähne zusammen und hebe die Zange noch höher. Eins ... zwei ...
Ich springe hoch und hechte mich auf ihn. Mit der Zange ziele ich auf seinen Hals. Janos wirbelt herum und schlägt mir mit dem Griff des Golfschlägers die Zange aus der Hand. Bevor ich reagieren kann, reißt er den anderen Arm hoch und rammt ihn nach unten. Das schwarze Kästchen trifft mich mitten auf die Brust.
76. KAPITEL
»Beeilen Sie sich! Wir müssen Hilfe holen!« wiederholte Viv und zerrte an Barrys Ärmel.
»Immer mit der Ruhe, das habe ich schon erledigt.« Barry neigte lauschend den Kopf. »Sie müßten jede Sekunde eintrudeln. Wo steckt Harris?«
»Da drin.« Viv deutete auf die Tür des Maschinenraums.
»Wohin zeigen Sie da? Ist da eine Tür?«
»Sie können sehen?« fragte Viv verblüfft.
»Nur Umrisse und Schatten. Führen Sie mich zu ihm.« Er packte ihren Ellbogen und schob sie auf die Tür zu.
»Sind Sie verrückt geworden?« fragte Viv.
»Sagten Sie nicht, er wäre mit Janos da drin?«
»Sicher, aber ...«
»Was ist Ihnen lieber? Hier zu warten, bis die Capitol Police kommt, oder hineinzugehen und vielleicht sein Leben zu retten? Er hat es ganz allein mit Janos zu tun. Wenn wir Harris nicht sofort helfen, kommt jede andere Hilfe zu spät.«
»Aber Sie sind blind ...«
»Na und? Unsere Anwesenheit genügt. Janos ist clever. Wenn Zeugen dabei sind, wird er keine Konfrontation riskieren, sondern weglaufen. Kommen Sie jetzt?«
Es ging alles so schnell, daß Viv keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie folgte Barry, während der sich mit seinem Blindenstock durch den Flur tastete. Viv schaute sich nach der Polizei um. Barry hatte recht. Die Zeit lief ihnen davon. Sie überholte Barry und führte ihn weiter. Sie würde Harris nicht im Stich lassen.
Sie gingen an Lowells leblosem Körper vorbei.
Viv schaute Barry an. Er blickte starr geradeaus. Offenbar sah er ihn nicht.
»Lowell ist tot«, sagte sie.
»Sind Sie sicher?«
Sie schaute auf die Leiche. Lowells Mund war weit aufgerissen, wie in einem letzten, lautlosen Schrei. »Todsicher«, sagte sie und fügte hinzu: »Hat er Sie verständigt?«
»Wer?«
»Hat Lowell Sie angerufen? Sind Sie deshalb gekommen?«
»Ja.« Barry nickte. »Lowell hat angerufen.«
Barrys Stock prallte gegen die Schwelle der Tür. Viv griff nach dem Türknauf. Als sie die Tür aufzog, schlug ihr ein kalter Windhauch ins Gesicht.
»Wie sieht es aus?« flüsterte Barry.
Viv überzeugte sich mit einem raschen Blick, daß alles in Ordnung war. Nichts hatte sich verändert. Der Wischeimer. Die Propangasflaschen. Selbst die Armeedecke lag da, wo sie sie abgeschüttelt hatte. Da drang ein tiefes, gutturales Stöhnen vom anderen Ende des Raumes an ihre Ohren, als hätte jemand Schmerzen.
»Harris ...!« Sie zog Barry hastig in den Raum. Obwohl sie sich beeilte, hielt er sich an ihrem Ellbogen fest. Sie wollte ihn zurücklassen, doch Barry hatte in einem Punkt recht: Je mehr sie waren, desto besser. »Können Sie wirklich mithalten?« fragte sie, ohne stehenzubleiben.
Barry behinderte sie zu ihrer Überraschung weniger, als sie gedacht hatte.
»Kein Problem«, erwiderte Barry. »Ich bleibe dicht hinter Ihnen.«
Viv nickte. Offenbar machte er so etwas nicht zum ersten Mal. Doch als sie sich von ihm abwandte und nach vorn sah, verstärkte er seinen Griff um ihren Ellbogen. Zuerst war es nur unbequem, doch dann ...
»Barry, Sie tun mir weh!«
Er packte noch fester zu. Sie wollte sich befreien, aber er ließ sie nicht los.
»Barry, haben Sie nicht gehört, was ich ... ?«
Sie drehte sich zu ihm herum. Er hatte bereits ausgeholt. Als Viv sich ihm zuwandte, schlug Barry ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Es war ein heftiger Schlag, der sie unmittelbar über dem Mund erwischte. Ihre Oberlippe platzte auf. Sie verlor das Gleichgewicht, stürzte zu Boden und schmeckte ihr eigenes Blut.
Viv hatte die Hände ausgestreckt, um den Sturz aufzufangen, aber es nützte nichts. Sie landete auf den Knien und versuchte, auf
Weitere Kostenlose Bücher