Das Spiel
als wäre ich zufällig dagegen gestoßen. Janos läuft weiter. Komm schon, Viv! Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel. Das ist deine Chance!
74. KAPITEL
Die kratzige, schmutzige Armeedecke stank nach einer Mischung aus Sägemehl und Kerosin, aber der Geruch war Vivs kleinste Sorge, als sie den Kopf zwischen die Knie nahm und die Augen fest zukniff. Sie hörte das Kratzen von Janos' Sohlen, als er den Raum betrat. Harris machte einen Höllenlärm. Es klang dumpf, als schlüge er gegen Metallbleche, und sie vermutete, daß Janos dem Geräusch folgen würde. Genau das tat er auch. Einige Schritte weit. Dann blieb er stehen. Direkt vor ihr.
Viv hielt den Atem an und rührte sich nicht. Instinktiv öffnete sie die Augen, aber sie sah nur die Spitze ihres rechten Fußes, der unter der Decke hervorlugte. War er verdeckt, oder starrte Janos im Moment genau darauf? Als ein leises Grollen ertönte, drehte sich Janos herum. Zementbrocken knirschten unter seinen Füßen. Viv rührte sich nicht, umklammerte ihre Knie und grub die Nägel in ihre Schienbeine.
»Schnell ...!« Harris' Stimme hallte schwach durch den Raum.
Janos drehte sich nach dem Geräusch um.
Viv war klar, daß Harris verzweifelt versuchte, Janos abzulenken. Es schien zu funktionieren. Janos setzte sich in Bewegung.
Viv zählte lautlos die Sekunden, um ja nichts zu überstürzen. Zuck nicht mal mit der Wimper, bis er weg ist! befahl sie sich. Sie hielt den Atem an, nicht um sich zu verbergen, sondern weil sie alle Geräusche wahrnehmen wollte. Das Rumpeln der Klimaanlage, das Summen der Neonröhren und vor allem das schwache Scharren von Harris' Schritten in der Ferne sowie das Klatschen von Janos' Schuhen, der ihm hinterherjagte.
Selbst als die Schritte fast verklungen waren, ließ sich Viv noch einige Sekunden Zeit. Nur für alle Fälle. Schließlich spähte sie unter der Decke hervor. Niemand zu sehen. Nur Müllwagen und Propangasflaschen. Sie zog sich die Decke von den Schultern und ließ sie achtlos zu Boden fallen.
Viv stürmte zur Tür und bog nach links in den Korridor ein. »Hilfe!« rief sie. »Ist da jemand? Wir brauchen Hilfe!« Sie versuchte den Weg zur Capitol Police zu finden und lief zu der kurzen Treppe, doch als sie um die Ecke fegte, rammte sie einen großen Mann in einem eleganten Nadelstreifenanzug. Der Aufprall war sehr hart. Ihre Nase landete unsanft auf seinem magentaroten Schlips. Zu Vivs Überraschung reagierte der Mann blitzartig, trat zurück und fing ihren Aufprall ab, fast als hätte er sie kommen hören.
»Hilfe! Ich brauche Hilfe!« keuchte Viv.
»Immer mit der Ruhe!« Barrys Glasauge schaute an ihr vorbei, als er ihr beruhigend eine Hand auf den Arm legte. »Erzählen Sie mir erst, was hier eigentlich los ist...«
75. KAPITEL
Ich husche durch den schmalen Gang zwischen zwei Luftkompressoren hindurch und lausche auf Janos. Das Dröhnen der Maschinen überlagert jedes andere Geräusch. Am Eingang war es schon laut, hier hinten jedoch ist der Lärm ohrenbetäubend, als liefe man zwischen zwei Reihen von Sattelschleppern vorbei, die ihre Motoren aufheulen ließen. Die Maschinen im hinteren Teil sind überdimensionierte Dinosaurier. Doch wenn ich ihn nicht hören kann, kann er mich wenigstens auch nicht hören.
Am Ende des Ganges biege ich nach rechts ab. Zu meiner Überraschung geht der Raum hier weiter. Es ist ein Labyrinth aus Kabeln und Belüftungsmaschinen, das niemals zu enden scheint. Ein Raum geht in den nächsten über. Links von mir stehen ovale Tanks, die wie industrielle Wasserkocher aussehen. Rechts befindet sich ein noch größerer, rechteckiger Kompressor mit einem gigantischen Motor. Von dort führen drei Wege in drei Richtungen. Nach rechts, nach links und geradeaus. Für ein ungeübtes Auge ist es leicht, in diesem unübersichtlichen Gewirr von Maschinen und Kabeln die Orientierung zu verlieren und im Kreis zu laufen. Deshalb verläuft eine schmutziggelbe Linie auf dem Boden. Vermutlich dient sie den Mechanikern als Orientierungshilfe. Ich bediene mich ihrer, doch statt ihr zu folgen und Janos die Jagd zu erleichtern, vermeide ich sie und biege willkürlich ab.
Auf halber Höhe des Ganges krieche ich unter einem Kabelgewirr hindurch und folge dem nächsten Gang noch tiefer in den dunklen Raum hinein. Allmählich sieht es immer mehr nach einem richtigen Kellergewölbe aus. Stockige Ziegelwände, feuchte, schlammige Böden und kein einziges Fenster. Die Decke mit dem rissigen Putz verläuft niedrig wie
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