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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
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sie.
    Niemand antwortete.
    »Harris, ich bin's, Viv. Sind Sie da drin?«
    Nichts. Sie drehte den Türgriff. Die Tür war verschlossen.
    »Harris, das ist ein Notfall...!«
    Es klickte, der Türknauf drehte sich, und die schwere Tür flog auf. Harris steckte den Kopf heraus und sah sich sorgfältig im Flur um.
    »Alles in Ordnung?« fragte er schließlich.
    Viv wischte sich die Handfläche an der Anzughose ab und stellte sich selbst dieselbe Frage. Falls sie noch kneifen wollte, war das ihre letzte Chance. Sie fühlte den Ausweis an ihrem Hals. Sie griff nicht danach. Sie versuchte es nicht einmal. Stattdessen sah sie Harris in die Augen.
    »Ich ... Brauchen Sie noch Hilfe bei dieser Abholung?«
    Harris versuchte, sein Lächeln zu unterdrücken, aber so gut war nicht einmal er. »Es wird nicht so leicht, wie Sie glauben. Sind Sie sicher, daß Sie ... ?«
    »Harris, ich war eines von zwei schwarzen Mädchen in einer ansonsten nur von Weißen besuchten Schule. Außerdem auch noch die Dunkelhäutigere. Einmal haben sie meinen Spind aufgebrochen und Nigger auf mein Sporthemd gemalt. Wieviel schwerer kann es noch werden? Sagen Sie mir lieber, wohin ich gehen soll, bevor ich es mir anders überlege.«

19. KAPITEL
    Viv fuhr mit dem Zeigefinger auf dem Blatt Papier an der Seite des Stahlkühlschranks in der Garderobe über die alphabetische Liste der Senatoren. Ross ... Reissman ... Reed. Senator Reed aus Florida betonte im Sitzungssaal in einer weiteren Rede die Bedeutung der Metallindustrie. Damit konnte Reed seine wirtschaftsfreundliche Haltung unterstreichen. Viv bot es die perfekte Gelegenheit, dem umständlichen Sprecher Wasser zu bringen. Ob er wollte oder nicht.
    Sie überflog die drei Spalten der Wasserliste ein letztes Mal. Eis, Kein Eis und Saratoga Seltzer. Für Viv verdeutlichte das wie nichts anderes die Macht des Senats. Man wußte nicht nur, wie die Senatoren ihren Kaffee nahmen. Sie wußten auch, welches Wasser sie bevorzugten. Laut Liste war Reed ein Kein E/s-Anhänger. Das paßt, dachte Viv.
    Rasch nahm sie eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, goß ihren Inhalt in ein gekühltes Glas und ging in den Sitzungssaal. Senator Reed hatte nicht um Wasser gebeten und auch nicht die Hand gehoben, um einen Pagen zu rufen. Doch Viv wußte sehr genau, wie die Überwachung der Pagen funktionierte. Da so viele Minderjährige hier arbeiteten, wurde über den Aufenthalt jedes Pagen lückenlos Buch geführt. Wollte Viv eine Stunde verschwinden, tat sie am besten, als hätte sie eine Besorgung zu erledigen.
    Viv stellte das Wassergas neben das Rednerpult des Senators, der sie wie üblich ignorierte. Sie mußte fast lächeln und beugte sich zu ihm. Gerade so lange, daß es aussah, als gäbe er ihr Instruktionen. Darauf drehte sie sich rasch herum, marschierte zur Garderobe und ging zielstrebig zum Tresen.
    »Ich soll eine Besorgung für Reed erledigen«, erklärte sie Blutter, der wie üblich telefonierte. Viv blätterte die Aufenthaltsliste auf dem Tresen durch und trug sich aus. Unter die Rubrik Ziel schrieb sie Rayburn. Das war das entlegenste Gebäude auf dem Capitolgelände, zu dem die Senatspagen noch Besorgungen machen durften. Das brachte ihr mindestens eine Stunde. Mehr Zeit benötigte sie nicht.
    ***
    Fünf Minuten später stieß Viv die gemaserte Tür der Garderobe des Repräsentantenhauses auf. »Ich komme wegen einer Abholung«, hatte sie dem Wachmann gesagt. Er hatte sie sofort hereingelassen. In der Garderobe schlug ihr der warme Dunst von Hotdogs ins Gesicht. Sie folgte dem Geruch nach links zu der kleinen Traube von Abgeordneten und Angestellten, die sich vor einem winzigen Tresen drängten. Das war die Quelle des Hotdog-Geruchs. Von wegen Zigarrenduft und andere Hinterzimmerklischees. Mit einem weiteren Atemzug sog Viv den subtilen, unübersehbaren Unterschied ein. Senatoren bekamen ihr Wasser nach ihrem Gusto geliefert, die Abgeordneten des Repräsentantenhauses kämpften um ihren Hotdog. Millionärsclub gegen Volksvertretung. Eine Nation unter Gottes Gnade.
    »Kann ich dir helfen?« fragte eine Frau, als Viv in den Sitzungssaal ging.
    Sie drehte sich um und sah die zierliche junge Frau mit lockigem blonden Haar hinter dem dunklen Holzschreibtisch.
    »Ich suche die Pagenaufsicht«, erklärte Viv.
    »Ich bevorzuge den Titel Herrscherin«, erwiderte die Frau. Sie blieb so ernst, daß Viv sich fragte, ob sie tatsächlich einen Scherz gemacht hatte. Bevor sie etwas erwidern konnte, klingelte das Telefon

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