Das Spiel
ganzes Leben unter Tage. Als Entschädigung hängte Dad Poster von Ralph Kiner, Roberto demente und den smaragdgrünen Feldern von Forbes Field auf. Hier unten haben sie die amerikanische Flagge dafür benutzt und die hellgelben Türen des Fahrstuhleingangs fünfzehn Meter weiter vor uns.
Wir durchqueren den Verbindungstunnel, kämpfen uns durch den Schlamm und marschieren geradewegs zu der Tür, auf der Winze Nr. 6 steht.
Während ich in den Korb trete und die Sicherheitstür schließe, mustert Viv die winzige metallene Schuhschachtel. Durch die niedrige Decke wirkt der Sarg noch kleiner. Als ich Viv nach unten schaut, fühle ich beinahe, wie die Klaustrophobie sie packt.
»Hier spricht Kontrolle Nummer sechs«, verkündet die Frau durch die Gegensprechanlage. »Alles fertig?«
Ich werfe Viv einen Blick zu. Sie schaut nicht einmal hoch. »Alles bereit«, sage ich ins Mikrofon. »Käfig ablassen.«
»Käfig wird abgelassen«, wiederholt sie, als der Sarg auch schon vibriert. Wir lehnen uns gegen die Wände und bereiten uns auf den freien Fall vor. Ein Wassertropfen sammelt sich an der Decke des Korbs und fällt mit einem leisen Klatschen in eine kleine Pfütze. Ich halte die Luft an, und Viv schaut hoch, als es plötzlich rumpelt. Erneut verschwindet der Boden unter unseren Füßen.
Nächster Halt: zweitausendsiebenhundertfünfzig Meter unter der Erdoberfläche.
40. KAPITEL
Der Korb saust steil hinunter. Ein scharfer Schmerz zuckt durch meine Stirn. Ich kämpfe um mein Gleichgewicht und lehne mich an die vibrierende Wand. Etwas sagt mir, daß dieser Kopfschmerz nicht nur von dem hohen Druck in meinen Ohren stammt.
»Wie sieht es mit unserem Sauerstoff aus?« frage ich Viv, die den Detektor mit beiden Händen festhält und versucht, die Zahlen zu entziffern, während wir hin und her geschleudert werden. Das Donnern ist ohrenbetäubend.
»Was?« erwidert sie schreiend.
»Wie sieht es mit dem Sauerstoff aus?« brülle ich.
Sie neigt den Kopf und sieht mich fragend an.
»Warum machst du dir jetzt plötzlich Sorgen?«
»Gib mir einfach die Prozentzahl durch!« schreie ich.
Sie holt tief Luft. Hinter mir saust alle paar Sekunden eine Ebene vorbei. Vivs Mut sinkt ebenso schnell. Ihre Unterlippe fängt an zu zittern. Während der letzten fünfeinhalbtausend Fuß hatte sich Viv an meiner Entschlossenheit festgeklammert. Die Zuversicht, die uns hierhergebracht hat, die Verzweiflung, die uns in den ersten Korb geführt hat, sogar die Dickköpfigkeit, die uns weitertreibt. Doch als sie meine Angst wittert und glaubt, mein Anker hätte sich gelöst, droht sie selbst zu kentern.
»Wie sieht es mit dem Sauerstoff aus?« wiederhole ich meine Frage.
»Harris ... ich will wieder rauf...!«
»Gib mir die Zahl durch, Viv!«
»Aber ...«
»Verdammt, die Zahl!«
Sie schaut auf den Detektor. Sie ist sichtlich verzweifelt. Ihre Stirn ist naß, doch das ist nicht nur Schweiß. Die kühle Luft, die durch den Schacht wehte, wärmt sich immer weiter auf, je tiefer wir fahren. Mit jedem Grad schwindet Vivs Beherrschung.
»Neunzehn ... Wir haben nur noch neunzehn«, stammelt sie, hustet und faßt sich an die Kehle. Neunzehn Prozent ist noch im Normalbereich, doch das beruhigt sie nicht. Ihre Brust hebt und senkt sich unter ihren hastigen Atemzügen, und sie taumelt rückwärts an die Wand. Ich atme noch ganz normal.
Sie zittert, und das nicht nur wegen der Bewegung des Korbes. Sie wird kalkweiß im Gesicht und reißt den Mund auf. Ihr Zittern wird stärker, so daß sie kaum noch aufrecht stehen kann. Sie stöhnt und läßt den Metalldetektor fallen. O nein, wenn sie jetzt hyperventiliert...
Der Korb saust mit einer Geschwindigkeit von sechzig Kilometern pro Stunde in die Tiefe. Viv sieht mich an. Ihre weit aufgerissenen Augen flehen um Hilfe. Sie greift an ihre Brust, keucht und bricht dann zusammen.
»Viv ...!«
Ich will zu ihr springen, als der Korb rechts anschlägt. Ich verliere das Gleichgewicht, taumele nach links und ramme mit der Schulter die Wand. Ein stechender Schmerz durchzuckt meinen Arm. Viv keucht immer noch. Der Ruck wirft sie nach vorn. Ich lande auf den Knien und kann sie noch auffangen, bevor sie mit dem Gesicht auf dem Boden aufschlägt.
Ich drehe sie herum und nehme sie in die Arme. Ihr Helm rutscht ihr vom Kopf, und sie verdreht die Augen. Sie ist vollkommen panisch. »Ich hab dich, Viv ... Ich habe dich ...« Ich wiederhole die Worte immer wieder. Ihr Kopf ruht in meinem Schoß, und sie versucht
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