Das Spiel
Luft zu holen, doch je tiefer wir kommen, desto heißer wird es. Ich lecke mir einen Schweißtropfen von der Oberlippe. Hier unten herrschen bestimmt mehr als vierzig Grad.
»Was ... Was ist los?« Viv schaut mich an. Tränen laufen ihr über die Schläfen ins Haar.
»Die Hitze ist ganz normal. Das liegt nur an dem Druck der Felsen über uns. Außerdem kommen wir dem Erdkern näher ...«
»Was ist mit dem Sauerstoff?« stammelt sie.
Ich hebe den Detektor auf, der neben ihr liegt. Das Licht meiner Lampe fällt auf das Display. Die Zahlen springen gerade um. Von neunzehn Komma sechs auf neunzehn Komma vier Prozent.
»Er ist stabil«, sage ich.
»Lügst du mich an? Bitte lüg mich nicht an ...«
Das ist nicht der richtige Moment, um ihre Panik noch zu vergrößern. »Wir schaffen es, Viv. Hol einfach weiter tief Luft.«
Ich selbst sauge die feuchte, heiße Luft ebenfalls ein. Sie brennt in meinen Lungen wie die Luft in einer Sauna. Schweiß läuft mir über das Gesicht und tropft von meiner Nasenspitze.
Ich knie hinter Viv auf dem Boden, ziehe ihr die orangefarbene Weste und das Jackett aus und schiebe sie nach vorn, so daß ihr Kopf zwischen ihren Knien zu liegen kommt. Ihr Hals ist naß, und der Schweiß läuft ihr auch den Rücken hinunter und durchnäßt ihr Hemd. »Tief atmen ... mach schöne, tiefe Atemzüge«, sage ich zu ihr.
Sie erwidert etwas, aber das Donnern des Korbes, der unaufhaltsam in die Tiefe rauscht, ist zu laut. Innerhalb von dreißig Sekunden fliegen drei Stolleneingänge vorbei. Wir müssen schon ungefähr siebentausend Fuß tief sein.
»Wir haben es bald geschafft.« Ich lege meine Hände auf ihre Schultern und halte sie fest. Sie soll wissen, daß ich sie nicht loslasse.
Als ein weiterer Stolleneingang vorbeizischt, knackt es wieder in meinen Ohren. Ich habe das Gefühl, mein Kopf müßte jeden Augenblick explodieren. Ich beiße die Zähne zusammen und schließe die Augen. In dem Moment sackt mein Magen wieder auf seinen von der Natur vorgesehenen Platz. Die Bremsen setzen kreischend ein, und die abrupte Verlangsamung des Korbes erinnert mich an ein Flugzeug, das unvermittelt anhält. Wir werden langsamer, endlich! Als das Donnern des Fahrkorbs zu einem Rumpeln abebbt, verlangsamt sich auch Vivs Atmung, bis sie wieder ruhig ein- und ausatmet.
»Da sind wir ... Alles ganz problemlos«, sage ich und halte immer noch ihren Hals fest. Sie atmet ruhig und gleichmäßig, und der Korb hält schließlich mit einem Ruck an. Eine Minute hängen wir da, ohne uns zu rühren. Viv liegt am Boden des Korbs, der am Boden des Schachts angekommen ist.
Ich drehe mich um und rapple mich auf. Viv braucht eine Sekunde länger, doch dann richtet sie sich ebenfalls auf und grinst erleichtert. Sie will Stärke zeigen, aber die Hast, mit der sie sich umschaut, verrät ihre Angst.
»Käfig hält?« quäkt die Kontrolle aus der Gegensprechanlage.
Ich ignoriere sie und drehe mich zu Viv um. »Wie geht's dir?«
»Ja«, antwortet sie nur. Sie sitzt einfach nur da.
»Das war keine Ja-oder-Nein-Frage«, antworte ich. »Also, versuchen wir es noch mal. Wie geht es dir?«
»Ganz gut.« Sie beißt sich auf die Unterlippe.
Das genügt mir. Ich trete an die Gegensprechanlage. »Kontrolle, sind Sie da?«
»Was gibt's?« erkundigt sich die Frau. »Gut gelandet?«
»Können Sie mich zurück zur ...«
»Nicht!« ruft Viv.
Ich lasse den Knopf los und schaue sie an.
»Jetzt sind wir doch schon hier«, meint Viv flehentlich. »Du brauchst nur die blöde Tür hochzuschieben ...«
»... erst, nachdem ich dich wieder nach oben geschafft habe.«
»Bitte, Harris! Wir sind so weit gekommen. Außerdem, glaubst du wirklich, daß es da oben sicherer ist als hier unten? Da oben bin ich allein. Das hast du selbst gesagt: Wir sollten uns nicht trennen. Das waren doch deine Worte. Wir sollten zusammenbleiben?«
Ich schenke mir eine Antwort.
»Komm schon«, fährt sie fort. »Wir sind den ganzen langen Weg nach South Dakota und dann noch fast drei Kilometer in die Tiefe gefahren, und jetzt willst du aufgeben?«
Ich schweige. Sie weiß genau, was das bedeutet.
»Alles klar da unten?« erkundigt sich die Kontrolle.
Ich sehe Viv unverwandt an.
»Mir geht es gut«, beteuert sie. »Und jetzt sag ihr endlich, daß alles in Butter ist, bevor sie anfängt, sich Sorgen zu machen.«
Ich drücke den Knopf der Gegensprechanlage. »Entschuldigung, Kontrolle. Ich wollte einige Ausrüstungsgegenstände korrigieren. Alles in Ordnung.
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