Das Spiel
zieht sie ihre Plakette aus der Tasche und hängt sie an den Nagel unter Nummer 15.
»Harris ...«
Bevor sie weiterreden kann, gehe ich zum Korb. »Es ist nur eine Versicherung. Wir sind in einer halben Stunde wieder oben.« Ich will sie beruhigen. »Komm, die Kutsche wartet...«
Ich ziehe heftig an dem Hebel der Stahltür. Das Schloß öffnet sich mit einem metallenen Knall, aber die Tür wiegt mindestens eine Tonne. Ich stemme meine Füße in den Boden und schiebe sie schließlich hoch. Ein Nebel aus kaltem Wasser sprüht mir ins Gesicht, und dicke Tropfen prasseln auf meinen Sicherheitshelm, als stünde ich während eines Unwetters unter einem Dachüberhang. Jetzt ist nur noch das Sicherheitsgitter zwischen uns und dem Korb.
»Los geht's.« Ich bücke mich und öffne den Verschluß am Boden des Korbs. Nach einem kräftigen Ruck und mit metallischem Kreischen rollt das Gatter wie ein Garagentor auf. Im Inneren sieht es aus wie in dem Müllcontainer, in dem ich Vivs Namensschild gefunden habe. Der Boden, die Wände, selbst die niedrige Decke bestehen aus angerostetem Metall. Es ist glitschig und mit Dreck und Fett verschmiert.
Ich winke Viv, aber sie rührt sich nicht. Ich winke noch einmal. Zögernd folgt sie mir ins Innere des Fahrkorbes. Verzweifelt sieht sie sich nach einem Halt um. Es gibt nichts. Kein Geländer, kein Handlauf, nicht mal einen Klappsitz. »Wie in einem Stahlsarg«, flüstert sie. Ihre Stimme hallt von den Metallwänden zurück. Der Fahrkorb soll etwa dreißig Männer unter die Erde transportieren, die Schulter an Schulter stehen, und soll gleichzeitig jeder Sprengung wiederstehen, die zufällig auf irgendeiner Ebene stattfindet. Deshalb ist er so kahl wie ein leerer Güterwaggon. Die Wassertropfen klatschen auf meinen Helm. Nur eines kann schlimmer sein, als lebendig in einem Sarg eingesperrt zu sein: in einem Sarg zu stecken, der leckt.
»Das ist doch nur Wasser, oder?« erkundigt sich Viv und schaut mißmutig auf die Wassertropfen.
»Wenn es etwas Gefährliches wäre, wären die anderen Jungs niemals hier eingestiegen«, erkläre ich ihr.
Viv betätigt den Schalter an ihrem Helm, worauf ihre Grubenlampe aufflammt. Dann schaut sie auf die Anzeige ihres Sauerstoffdetektors. Ich schalte meine Lampe ebenfalls ein und gehe zu der Gegensprechanlage, die wie der Summer in meinem alten Mietshaus aussieht. Doch aufgrund des jahrelangen Einflusses des Wassers ist die ganze Front des Paneels mit einem dicken, moosigen Film bedeckt, der wie alter, feuchter Teppich mufft.
»Willst du das etwa anfassen?« erkundigt sich Viv.
Ich habe keine Wahl. Ich drücke den großen roten Knopf mit den Fingerspitzen. Er ist von schlüpfrigem Schleim überzogen. Mein Finger rutscht ab.
»Käfig bereit«, sage ich in das Gerät.
»Haben Sie das Sicherheitsgitter geschlossen?« summt die Stimme der Frau durch die Anlage.
»Bin dabei.« Ich greife nach oben, ziehe an dem nassen Nylonband und zerre das Garagentor wieder zurück. Es quietscht und schließt sich mit einem lauten Knall. Viv zuckt bei dem Geräusch zusammen. Nun gibt es kein Zurück mehr.
»Noch eine Frage«, sage ich in die Gegensprechanlage. »Das ganze Wasser hier unten ...«
»Ist nur für den Schacht«, erklärt mir die Frau. »Es schmiert die Wände. Solange Sie nicht davon naschen, passiert Ihnen nichts«, fügt sie lachend hinzu. Viv und ich lachen nicht mit. »Also, fertig oder was?« fragt sie.
»Vollkommen«, erwidere ich und starre durch das Metallgitter in das leere Untergeschoß. Vivs Licht scheint über meine Schulter. Anscheinend wirft sie ebenfalls einen letzten Blick darauf. Ihr Lichtkegel fällt auf den Feueralarm und das Telefon. Auf der anderen Seite hängen unsere Metallplaketten. Der einzige Beweis für unseren Abstieg.
Ich verzichte auf aufmunternde Worte. Wir brauchen keine Rede, sondern Antworten. Und was immer da unten wartet, nur wenn wir herunterfahren, werden wir sie bekommen.
»Nach dreizehn-zwo.« Ich benutze den gleichen Code wie der Mann vorhin. »Käfig ablassen.«
»Dreizehn-zwo«, bestätigt die Frau. »Käfig wird abgelassen.«
Metall knirscht, und wir sind einen Moment schwerelos wie auf der Achterbahn. Unmittelbar vor dem großen Sturz.
»Schauen Sie bloß nicht nach unten«, spöttelt die Frau in der Zentrale. »Es ist ein langer, langer Weg hinunter ...«
38. KAPITEL
»Sind Sie da?« fragte Sauls. Seine Stimme drang abgerissen aus dem Handy.
»Fast«, erwiderte Janos, während er mit seinem Ford
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