Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Freund Simon de Vries, der Vorsitzende des Philosophie-Clubs der Kollegianten, fest mit Bentos Anwesenheit auf einem Treffen, auf dem der erste Teil seines neuen Werks diskutiert werden sollte. Bento zog Simons letzten Brief aus der Tasche und las ihn durch.
Hochgeschätzter Freund!
Ich erwarte Ihre Ankunft mit Ungeduld. Ich beklage manchmal mein Los, dass wir durch eine so große Entfernung voneinander getrennt sind. Glücklich, ja, äußerst glücklich ist Dr. Hooman, der unter einem Dach mit Ihnen wohnt, der mit Ihnen über die besten Themen sprechen kann, beim Mittagessen, beim Abendessen und bei Ihren Spaziergängen. Doch wenn ich auch körperlich weit von Ihnen entfernt sein mag, sind Sie meinem Geist sehr häufig gegenwärtig, besonders mit Ihren Schriften, während ich sie lese und umblättere. Aber da nicht alle Ihre Schriften den Mitgliedern des Clubs klar verständlich sind, aus welchem Grund wir eine neuerliche Sequenz von Treffen begonnen haben, freuen wir uns nun auf Ihre Erläuterung schwieriger Passagen mit dem Ziele, unter Ihrer Führung die Wahrheit gegen diejenigen besser verteidigen zu können, die abergläubisch religiös sind, und den Angriffen der ganzen Welt widerstehen zu können.
Ihr ergebenster
S. DE VRIES
Als er den Brief wieder zusammenfaltete, empfand Bento sowohl Freude als auch Beklommenheit – Freude über Simons freundliche Worte, aber Misstrauen gegenüber seiner eigenen Sehnsucht nach einer bewundernden Zuhörerschaft. Zweifellos war der Umzug nach Rijnsburg eine weise Entscheidung gewesen. Noch weiser, stellte er sich vor, wäre es allerdings gewesen, noch weiter von Amsterdam fortzuziehen.
Er spazierte den kurzen Weg nach Oegstgeest, wo er für einundzwanzig Stuiver die morgendliche Trekschuit bestieg, einen von Pferden gezogenen Kahn, der Personen auf dem Trekvaart , dem erst kürzlich ausgehobenen Kanal , direkt nach Amsterdam transportierte. Für wenige zusätzliche Stuiver hätte er in der Kabine Platz nehmen können, doch es war ein schöner, sonniger Tag, und so setzte er sich an Deck und las den Anfang seiner Abhandlung über die Läuterung des Verstandes noch einmal durch, der am folgenden Tag in Simons Philosophie-Club diskutiert werden sollte. Er hatte damit begonnen, seine persönliche Suche nach dem Glück zu beschreiben.
»Nachdem die Erfahrung mich gelehrt hat, daß alles, was das gemeine Leben gewöhnlich bietet, eitel und unverläßlich ist und nachdem ich sah, daß alles, wovon und was ich fürchtete, Gutes und Schlechtes nur insofern in sich enthielt, als mein Gemüt davon bewegt wurde, beschloß ich endlich nachzuforschen, ob es etwas geben mag, das ein wahres Gut wäre, dessen man teilhaftig werden und von dem allein, alles übrige beiseitegesetzt, das Gemüt bewegt werden könnte; vielleicht gar etwas, durch welches, sobald ich es gefunden und erworben, ich mich einer beständigen und innigen Seelenheiterkeit erfreuen könnte.«
Als Nächstes beschrieb er die Unfähigkeit, sein Ziel zu erreichen, während er noch immer seinen kulturellen Überzeugungen nachhing, dass die höchsten Güter aus Reichtum, Ehre und Sinnenlust bestünden. Diese Güter, so behauptete er, seien der Gesundheit nicht zuträglich. Sorgfältig las er seine Kommentare zu den Begrenzungen dieser drei weltlichen Güter.
»Was die Sinnenlust betrifft, so geht der Geist in ihr so sehr auf, als wäre sie ein wirkliches Gut, das ihn vollständig befriedigen würde; was ihn am meisten hindert, an etwas anderes zu denken. Auf den Genuß jedoch folgt tiefe Verstimmung, welche den Geist, wenn auch nicht ganz verstört, so doch in Unordnung bringt und abstumpft.
Noch weit mehr aber wird der Geist durch Ehrsucht eingenommen; weil die Ehre immer für ein Gut an sich gehalten wird und als letzter Zweck, auf welchen alles übrige gerichtet wird. Sodann sind diese beiden nicht, wie die Sinnenlust, von Reue begleitet; vielmehr steigert sich die Freude an ihnen, je mehr man davon besitzt, und demzufolge fühlen wir uns immer mehr angespornt, den Besitz derselben zu vermehren. Werden aber unsere Hoffnungen einmal enttäuscht, so entspringt daraus große Traurigkeit.
Endlich ist aber die Ehrsucht hauptsächlich darum ein großes Hindernis, weil wir, um sie zu befriedigen, genötigt sind, unser Leben den Begriffen der anderen Menschen gemäß zu regeln, und also fliehen müssen, was andere zu fliehen pflegen, und nach dem streben müssen, wonach andere streben.«
Bento nickte; besonders zufrieden
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