Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
ungeachtet aller meiner Einwände und Argumente wieder als Hauptschriftleiter eingesetzt? –Rosenberg, der unerträgliche, engstirnige Möchtegernmythologe, der antisemitische Halbjude, der, und das behaupte ich bis heute, der Bewegung mehr Schaden zugefügt hat als irgendein anderer Mensch abgesehen von Goebbels.«
Ernst (Putzi) Hanfstaengl
»Hitlers Nachricht hat mich mehr als erstaunt. Hier, Friedrich, ich möchte, dass du dir das mit eigenen Augen ansiehst. Ich trage den Zettel immer in der Brieftasche bei mir. Ich habe ihn jetzt in ein Kuvert gesteckt – er fällt allmählich auseinander.«
Friedrich öffnete das Kuvert behutsam und las.
LIEBER ROSENBERG, VON JETZT AB WERDEN SIE DIE BEWEGUNG FÜHREN.
»Das hast du also nach dem fehlgeschlagenen Putsch bekommen – vor zwei Jahren?«
»Am Tag danach. Er schrieb es am zehnten November 1923.«
»Erzähl mir mehr über deine Reaktion.«
»Wie ich sagte, ich war mehr als erstaunt. Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, weshalb er ausgerechnet mich zu seinem Nachfolger wählte.«
»Sprich weiter.«
Alfred schüttelte den Kopf. »Ich …« Er stockte einen Moment, fasste sich dann und platzte heraus: »Ich war fassungslos. Perplex. Wie konnte das sein? Vor dieser Nachricht hat Hitler niemals darüber gesprochen, dass ich die Partei führen sollte – und nachdem er sie geschrieben hat, ebenfalls nicht!«
Hitler sprach weder vorher noch nachher darüber . Friedrich versuchte, diesen seltsamen Gedanken zu verdauen, konzentrierte sich aber weiter auf Alfreds Gefühlsausbruch. Seine analytische Ausbildung hatte ihn in Geduld geübt. Er wusste, dass sich alles mit der Zeit auflösen würde. »Eine Menge Emotionen in deiner Stimme, Alfred. Es ist wichtig, seinen Gefühlen zu folgen. Was fällt dir dazu ein?«
»Mit dem Putsch fiel alles auseinander. Die Partei lag in Scherben. Die Führer waren entweder im Gefängnis wie Hitler oder außer Landes wie Göring oder untergetaucht wie ich. Die Regierung hat die Partei verboten und den Völkischen Beobachter für immer geschlossen. Erst vor ein paar Monaten wurde er wiedereröffnet, und jetzt habe ich meine frühere Stelle wieder.«
»Darüber möchte ich alles wissen, aber im Augenblick wollen wir deine Gefühle im Zusammenhang mit dieser Nachricht näher beleuchten. Versuch das Gleiche wie schon einmal: Stell dir die Situation vor, als du zum ersten Mal die Nachricht öffnetest, und sprich dann alles aus, was dir gerade in den Sinn kommt.«
Alfred schloss die Augen und konzentrierte sich. »Stolz. Großer Stolz – er hat mich auserwählt, mich vor allen anderen – er hat mir das Zepter übergeben. Es bedeutete alles für mich. Deshalb trage ich den Zettel immer bei mir. Ich hatte keine Ahnung, dass er mir so vertraute und mich so wertschätzte. Was noch? Große Freude. Es war vielleicht der stolzeste Augenblick in meinem Leben. Nein, nicht nur vielleicht, es war mein stolzester Augenblick. Wie habe ich ihn dafür geliebt! Und dann … und dann …«
»Und dann was, Alfred? Nicht aufhören.«
»Und hinterher war alles nur noch ein Haufen Scheiße! Diese Nachricht. Alles! Meine größte Freude wurde zur größten … zur größten Pestilenz meines Lebens.«
»Von Freude zu Pestilenz. Kläre mich über diese Verwandlung auf.« Friedrich wusste, dass er sich seine Kommentare hätte sparen können. Alfred war begierig darauf weiterzusprechen.
»Es ist so viel passiert, dass meine Zeit heute nicht reichen würde, dir alles im Einzelnen zu beantworten.« Alfred schaute auf seine Armbanduhr.
»Ich weiß, dass du mir nicht alles erzählen kannst, was in den letzten drei Jahren passiert ist, aber ich brauche wenigstens einen kurzen Überblick, wenn ich deine Verärgerung wirklich verstehen soll.«
Alfred schaute zur hohen Zimmerdecke in Friedrichs geräumigem Büro und sammelte seine Gedanken. »Wie soll ich es ausdrücken? Im Wesentlichen stellte mir diese Nachricht eine unmögliche Aufgabe. Ich wurde aufgefordert, einen traurigen Kader bösartiger Männer zu führen, die alle nach der Macht griffen, alle mit eigenen Vorstellungen, jeder Einzelne drauf und dran, mich zu vernichten. Jeder Einzelne seicht und dumm, jeder Einzelne von meiner überlegenen Intelligenz bedroht und vollkommen unfähig, meine Ausführungen zu verstehen. Und keiner von ihnen wusste über die Prinzipien Bescheid, für die die Partei stand.«
»Und Hitler? Er forderte dich auf, die Partei zu führen. Kam von ihm denn keine
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