Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
bleibt mir heute nur Ihr gesprochenes Wort. Ihre Gedanken regen mich an. Ich zerbreche mir immer noch den Kopf über Dinge, die Sie zu Jacob und mir gesagt haben.«
Bento hob fragend das Kinn.
»Bei unserem allerersten Treffen sagten Sie, dass Gott perfekt und vollkommen ist, keine Mängel hat und kein Bedürfnis, von uns gepriesen zu werden.«
»Ja, das ist meine Ansicht, und das waren meine Worte.«
»Und dann erinnere ich mich an Ihre folgende Bemerkung zu Jacob – und das war eine Feststellung, für die ich Sie lieben lernte. Sie sagten: ›Bitte gestatten Sie mir, dass ich Gott auf meine Art liebe.‹«
»Ja, und Ihre Verwirrung?«
»Ich weiß, und das verdanke ich Ihnen, dass Gott kein Wesen wie wir ist. Und auch wie kein anderes Wesen. Sie betonten – und das war der Todesstoß für Jacob –, dass Gott Natur sei. Aber sagen Sie mir, lehren Sie mich: Wie können Sie die Natur lieben? Wie können Sie etwas lieben, das kein Wesen hat?«
»Zuerst einmal, Franco, verwende ich den Begriff ›Natur‹ auf eine besondere Art. Ich meine damit nicht die Bäume, die Wälder, das Gras, das Meer oder irgendetwas, das nicht von Menschenhand geschaffen wurde. Ich meine damit alles, was existiert: die absolut notwendige, perfekte Einheit. Mit ›Natur‹ beziehe ich mich auf das, was unendlich, geeint, perfekt, verstandesmäßig und logisch ist. Es ist die immanente Ursache aller Dinge. Und alles, was existiert, arbeitet ausnahmslos nach den Gesetzen der Natur. Wenn ich also über die Liebe zur Natur spreche, meine ich nicht die Liebe, die Sie für Ihre Frau oder für Ihr Kind empfinden. Ich spreche von einer anderen Art von Liebe, einer intellektuellen Liebe. Auf Latein nenne ich es Amor dei intellectualis .«
»Eine intellektuelle Liebe zu Gott?«
»Ja, die Liebe des möglichst vollkommenen Verständnisses für die Natur oder Gott. Das Begreifen des Platzes, den jedes endliche Ding in seiner Beziehung zu endlichen Ursachen einnimmt. Insofern das überhaupt möglich ist, ist es das Verständnis der universellen Gesetze der Natur.«
»Wenn Sie also davon sprechen, Gott zu lieben, meinen Sie damit das Verständnis für die Gesetze der Natur.«
»Ja, die Gesetze der Natur sind nur ein weiterer, eher der Vernunft entsprechender Name für die ewigen Gebote Gottes.«
»Diese Liebe unterscheidet sich also von der gewöhnlichen, menschlichen Liebe dadurch, dass sie sich nur auf ein Wesen bezieht.«
»Genau. Und die Liebe zu etwas, was unveränderlich und ewig ist, bedeutet, dass man nicht der Gemütsverfassung, der Wankelmütigkeit oder Endlichkeit des geliebten Wesens ausgeliefert ist. Es bedeutet auch, dass wir nicht versuchen, uns selbst in einer anderen Person zu vervollkommnen.«
»Bento, wenn ich Sie richtig verstehe, muss das auch heißen, dass wir keine Gegenliebe erwarten dürfen.«
»Wieder genau richtig. Wir können nichts zurückerwarten. Wir beziehen eine freudige Ehrfurcht aus einem flüchtigen Blick, ein privilegiertes Verstehen des unermesslichen, unendlich komplexen Systems der Natur.«
»Eine weitere Lebensaufgabe?«
»Ja, Gott oder die Natur besitzt eine unendliche Anzahl von Attributen, die sich meinem vollständigen Verstehen immer entziehen werden. Aber mein begrenztes Verständnis führt jetzt schon zu großer Ehrfurcht und Freude, zuweilen sogar ekstatischer Freude.«
»Eine seltsame Religion, wenn man das überhaupt Religion nennen kann.« Franco stand auf. »Ich muss Sie verlassen, obwohl ich immer noch verblüfft bin. Aber eine letzte Frage: Ich frage mich, vergöttern Sie die Natur oder naturalisieren Sie Gott?«
»Schönes Wortspiel, Franco. Ich brauche Zeit, viel Zeit, um meine Antwort auf diese Frage zu finden.«
30
BERLIN, 1936
» Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts : Zeug, das niemand verstehen kann, geschrieben von einem engstirnigen Balten, der furchtbar kompliziert denkt.«
Adolf Hitler
»Die Hauptleserschaft dieses Rosenbergschen Werkes sind nicht die Altparteigenossen. Ich selbst habe es nämlich nur zum geringen Teil gelesen, da es meines Erachtens auch zu schwer verständlich ist.«
Adolf Hitler
»Sigmund Freud erhält den Goethe-Preis
Der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt wurde diesmal Professor Sigmund Freud, dem weltberühmten Wiener Gelehrten und Schöpfer der Psychoanalyse, so jubelt mit Zinken und Posaunen die »Israel. Gemeindeztg.« In Nr. 10, verliehen. Der Goethe-Preis, der größte wissenschaftliche und literarische Preis Deutschlands, wird dem
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